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Vize-Bundesvorsitzender der Linkspartei: „Angehörige pflegen bedeutet Stress und Entbehrung“

Montag, 27. Januar 2025
Interview von Fatih Yildirim

Pflegende Angehörige übernehmen eine immense Verantwortung – oft unter großem Stress und mit erheblichen finanziellen Einbußen. Für viele bedeutet das, sich zwischen Beruf, Familie und Pflegeaufgaben aufzureiben. Ates Gürpinar, stellvertretender Vorsitzender der Linkspartei und pflegepolitischer Sprecher der Linken im Bundestag, fordert deshalb umfassende Reformen. Im Interview mit Capital Beat erklärt er, warum eine grundlegende Umgestaltung der Pflegeversicherung dringend notwendig ist – und wie er sich für eine gerechtere Pflegepolitik einsetzen will.

Zur Person: Der Bundestagsabgeordneter Ates Gürpinar, Jahrgang 1984, ist seit 2021 stellvertretender Bundesvorsitzender der Partei Die Linke. Im Bundestag gehört er dem Ausschuss für Gesundheit mit den Fachthemen Krankenhaus-, Pflege- und Drogenpolitik an.

Pflegende Angehörige leisten einen unverzichtbaren Beitrag zur Gesellschaft und entlasten unser Gesundheitssystem erheblich. Welche konkreten Maßnahmen planen Sie, um ihre finanzielle Situation zu verbessern und sicherzustellen, dass sie nicht in Altersarmut abrutschen?

Ates Gürpinar: Die Linke setzt sich seit langem dafür ein, dass pflegende Angehörige konkrete Geldleistungen und deutlich mehr Rentenpunkte für ihre wichtige Tätigkeit erhalten. Außerdem müssen Familien besser aufgefangen werden, wenn der akute Pflegefall eintritt. Das Pflegeunterstützungsgeld reicht nicht: Wir brauchen eine mehrwöchige Freistellung, finanziert von den Arbeitgebern, damit Familien sich sortieren können und alles Notwendige in die Wege leiten. Das hilft ebenso bei der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf wie ein Ausbau der professionellen Tages- und Kurzzeitpflege. Finanziert werden kann das durch eine Revolution der Pflegefinanzierung, indem alle in das System einzahlen, die Beitragsbemessungsgrenze wegfällt und wirklich alle Einnahmen herangezogen werden, also auch Einnahmen aus Vermietungen oder Renditen.

Ein zentraler Baustein zur Unterstützung pflegender Angehöriger ist der kostenfreie Zugang zu zum Verbrauch bestimmter Pflegehilfsmitteln, da diese den Pflegealltag erleichtern und gesundheitliche Risiken für Pflegende und Pflegebedürftige reduzieren. Welche Schritte sollten aus Ihrer Sicht unternommen werden, um sicherzustellen, dass diese Hilfsmittel unbürokratisch und flächendeckend bereitgestellt werden?

Ates Gürpinar: Zuerst muss sichergestellt werden, dass dies finanzierbar ist. Die Linke hat mit der Solidarischen Pflegeversicherung ein wissenschaftlich fundiertes Konzept bereit gestellt, damit in der Pflege überhaupt über solch eine Ausweitung der Leistung nachgedacht werden kann. Nur wenn auch Spitzenverdiener*innen und Vermögende sich am Solidarsystem beteiligen, sind diese konkreten Verbesserungen für Familien mit Pflegebedarf umsetzbar. Daher hat dieser Punkt für uns oberste Priorität.

Bürokratische Hürden erschweren vielen pflegenden Angehörigen den Zugang zu Unterstützungsleistungen. Wie wollen Sie das Antragsverfahren für Pflegegeld, Entlastungsangebote und Pflegehilfsmittel digitalisieren und vereinfachen, um Betroffene schneller und effizienter zu entlasten?

Ates Gürpinar: Digitalisierung muss den Menschen nutzen und darf nicht dazu genutzt werden, Beschäftigte und damit in dem Fall Ansprechpartner*innen für Menschen mit Pflegebedarf zu kürzen. Wir brauchen barrierefrei zugängliche digitale Antragsverfahren ebenso wie ein deutlich breiter ausgebautes Netz von Beratungen, damit sichergestellt werden kann, dass Menschen die Pflege bekommen, die sie brauchen. Das Angebot ist für Laien oft schwierig zu durchschauen, daher brauchen Menschen mit Pflegebedarf hier Unterstützung. Dabei müssen sie immer die Wahl haben, ob sie sich digital informieren wollen oder eine äquivalente Hilfe analog, also direkt vor Ort, telefonisch oder auf andere Weise.

Pflegebedürftige werden oft von Angehörigen betreut, die keinerlei Schulung oder Anleitung erhalten. Halten Sie verpflichtende, aber kostenlose Schulungen für pflegende Angehörige für sinnvoll, um sowohl die Pflegequalität als auch die Gesundheit der Pflegenden zu schützen?

Ates Gürpinar: Menschen, die ihre Angehörigen und Freund*innen pflegen, wollen ihnen helfen. Viele machen das gern, aber ohne sie wäre das System längst kollabiert. Natürlich brauchen sie dabei oft selbst Unterstützung, auch in Form von Schulungen, Anleitungen und Weiterbildungen. Das kommt den Pflegenden, die die richtigen Handgriffe lernen und die eigene Gesundheit schützen, ebenso zugute wie den Menschen mit Pflegebedarf, die so besser gepflegt und betreut werden können. Statt einer Verpflichtung müssen wir ihnen erst einmal niedrigschwellig die Möglichkeit geben, solche Angebote auch wahrnehmen zu können, zum Beispiel auch online, wenn sie die zu Pflegenden nicht so lange allein lassen können, oder indem sie zu den Terminen anderweitig unterstützt werden.

Die Zahl der Pflegebedürftigen wird in den kommenden Jahren weiter steigen, während der Fachkräftemangel in der Pflege zunimmt. Welche politischen Konzepte haben Sie, um pflegende Angehörige langfristig zu entlasten und die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf nachhaltig zu verbessern?

Ates Gürpinar: Das Wahlprogramm der Linken nimmt einen der wichtigsten Punkte ganz zentral in den Blick: die Finanzierung von Gesundheit und Pflege. Unser Konzept einer solidarischen Gesundheits- und Pflegeversicherung ist ein dringend notwendiger Umbau dieser Finanzierung, mit dem die zentralen Probleme auch in der häuslichen Pflege endlich angegangen werden können. Denn die schönsten und buntesten Forderungen nützen nichts, wenn sie nicht finanziell unterfüttert sind. Wenn nach unserem Konzept endlich alle und von ihrem gesamten Einkommen in eine gemeinsame Pflegeversicherung einzahlen, dann haben wir die realistische Chance, das System so umzubauen, dass alle pflegebedingten Kosten übernommen werden. Dann bekommen alle die Pflege, die sie brauchen, und nicht nur die, die sie sich leisten können. Und dazu gehört auch ein Ausbau der Strukturen der Tages- und Kurzzeitpflege, damit diese angesprochene Vereinbarkeit keine leere Floskel bleibt, sondern es eine reale Chance gibt, sie umzusetzen.

Welche Rolle spielt das Thema Pflege in Ihrem Wahlkampf, in Ihrer Heimat und für Sie persönlich?

Ates Gürpinar: Als pflegepolitischer Sprecher der Gruppe Die Linke im Bundestag setze ich mich jeden Tag damit auseinander. Insbesondere in der Pandemie musste ich erfahren, wie schwer es für viele auch nahestehende Personen war, die gepflegt werden müssen. In jeder Familie gibt es Menschen mit Pflegebedarf, in jeder Schulklasse einer weiterführenden Schule statistisch mindestens ein Kind, das als pflegende Angehörige eingebunden ist. Auch wenn das viele gern machen, bedeutet das Stress und Entbehrung, während Kindheit und Jugend eine möglichst unbeschwerte Lebensphase sein sollte. Für alle diese Menschen möchte ich mich weiter im Bundestag stark machen. Sie stecken durch diese Pflege so viel Engagement in diese Gesellschaft und brauchen jemanden, der ihre Interessen im Bundestag vertritt. Mich ehrt das Vertrauen, dass ich das die letzten drei Jahre sein durfte und ich habe noch viel mehr Energie, dies weiterhin zu tun.

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