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Interview

„Die Union vollzieht eine strategische Neuausrichtung“ – Ulrich Schlie über die neue Asylpolitik der CDU/CSU
Sonntag, 2. Februar 2025
Interview von Fatih Yildirim

Die CDU/CSU positioniert sich in der Asylpolitik neu – und verabschiedet sich damit von der Linie Angela Merkels. Für den Historiker Ulrich Schlie markiert dies nicht nur eine inhaltliche Kurskorrektur, sondern eine strategische Weichenstellung für eine mögliche Regierungsübernahme. Im Interview vor dem 37. Parteitag der CDU am Montag im City Cube Berlin spricht er mit dem Hauptstadtmagazin „Capital Beat“ über die Abgrenzung zur AfD, die Rolle der Protestwähler und die historische Verantwortung der Union.

Zur Person: Ulrich Schlie ist Historiker und Politologe und leitet seit 2020 das Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies CASSIS an der Universität Bonn. Dort ist er auch Henry-Kissinger-Professor für Sicherheits- und Strategieforschung. Zuvor war er unter anderem an der Harvard University, der University of Cambridge, der Tufts University und Sciences Po in Paris tätig. Über 27 Jahre arbeitete er im deutschen Auswärtigen Dienst und war von 2005 bis 2014 in leitenden Positionen im Verteidigungsministerium tätig. Er promovierte 1992 an der Universität Bonn und habilitierte sich 2020 mit einer Arbeit zur deutschen Sicherheitspolitik. Aktuell forscht und lehrt er auch an der University of St Andrews in Schottland. Schlie ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Nordrhein-Westfälischen Akademie für Internationale Politik.

Herr Prof. Schlie, die CDU/CSU hat sich in der Asylpolitik neu positioniert. Sie sehen darin eine grundlegende Richtungsentscheidung. Was bedeutet das konkret?

Ulrich Schlie: Die Union verabschiedet sich damit klar von der migrationspolitischen Linie Angela Merkels. Friedrich Merz signalisiert einen überfälligen Kurswechsel und setzt auf eine restriktivere Asylpolitik. Das ist nicht nur eine inhaltliche Korrektur sondern auch eine strategische Neuausrichtung mit Blick auf eine mögliche Regierungsübernahme.

Gleichzeitig betont die Union ihre Brandmauer gegen die AfD. Wie glaubwürdig ist diese Abgrenzung?

Ulrich Schlie: Diese Frage ist zentral. Die CDU ist die Brandmauer gegen die AfD. Friedrich Merz hat in der Vergangenheit bewiesen, dass er für einen glasklaren Kurs in dieser Frage steht. Es kann keine Kooperation, keine irgendwie geartete Kooperation mit einer Partei geben, die ein problematisches Verhältnis zum Nationalsozialismus hat und von Moskau unterstützt wird. CDU und CSU müssen jetzt mehr denn je eine klar markierte Trennlinie zur AFD ziehen.

Apropos Protestwähler: Welche Rolle spielen sie in diesem politischen Umbruch?

Ulrich Schlie: Eine sehr große. Viele AfD-Wähler sind keine überzeugten Rechtspopulisten, sondern fühlen sich von den etablierten Parteien im Stich gelassen. Die Migrationspolitik ist dabei sicherlich das wichtigste Feld. Nur wenn diese Wähler zurückgewonnen werden, kann die parlamentarische Demokratie intakt gehalten werden.

Sie ziehen eine Parallele zur Weimarer Republik. Was genau ist die historische Gefahr?

Ulrich Schlie: Die Weimarer Republik scheiterte nicht zuletzt daran, dass die politische Mitte am Ende Niemandsland war. Die letzten Weimarer Regierungen hatten keine stabile Mehrheit im Parlament, und erst recht nicht in der Bevölkerung. Wer die Mitte schwächt, stärkt die Ränder.

Angela Merkel hat sich zuletzt kritisch zur Positionierung der Union geäußert. Welche Rolle spielt ihr Erbe in dieser Debatte?

Ulrich Schlie: Merkels Migrationspolitik hat Deutschland unzweifelhaft verändert. Ihre Einmischung in den aktuellen Wahlkampf erinnert an historische Fälle, in denen frühere Kanzler ihren Nachfolgern Steine in den Weg legten.

Was muss Friedrich Merz jetzt tun, um die Union zusammenzuhalten und gleichzeitig ein klares Profil zu entwickeln?

Ulrich Schlie: Wahlkämpfe leben immer auch von der Formulierung von Alternativen. Friedrich Merz muss mit der Integrität seiner Person deutlich machen, dass der von ihm angestrebte Politikwechsel Deutschland als Ganzes dient.