Türkei im Aufruhr: Imamoglu inhaftiert, Opposition mobilisiert
Ekrem Imamoglu, Istanbuls beliebter Bürgermeister und größter Rivale von Präsident Recap Tayyip Erdogan, wurde am 20. März 2025 verhaftet und unter Korruptions- und Terrorismusvorwürfen in Untersuchungshaft genommen. Er wurde vom Innenministerium in Ankara als Bürgermeister suspendiert. Dies löste immer noch andauernde landesweite Proteste aus; ungeachtet des Demonstrationsverbots. Bei den massiven Demonstrationen in mehreren türkischen Städten kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei. Trotz seiner Inhaftierung nominierte Imamoglus Partei CHP ihn mit überwältigender Mehrheit zum Präsidentschaftskandidaten. Kritiker sehen in den Maßnahmen gegen Imamoglu den Versuch, einen gefährlichen Konkurrenten Erdogans auszuschalten.

Macit Karaahmetoğlu ist seit 2021 Abgeordneter im Bundestag. In der vergangenen Legislaturperiode war er im Rechtsausschuss und stellvertretender Vorsitzender der Deutsch-Türkischen Parlamentariergruppe.
Herr Karaahmetoğlu, die Untersuchungshaft von Ekrem Imamoglu sorgt international für Empörung. Seine Amtsenthebung als Istanbuler Bürgermeister erinnert an frühere Maßnahmen gegen politische Gegner. Ist dies Teil einer größeren Strategie zur Ausschaltung der Opposition?
Macit Karaahmetoğlu: In den vergangenen Monaten haben die Repressionen gegen Oppositionelle, unter anderem auch Bürgermeister, wieder stark zugenommen. Die Methode, starke Gegner mit rechtlichen Vorwürfen zu diskreditieren und sie, wenn möglich, so aus dem Spiel zu nehmen, ist aber nicht neu sondern kann seit Jahren beobachtet werden. Die Inhaftierung Imamoglus ist der Höhepunkt dieser Strategie Erdogans, eine Zäsur, von der es wohl keinen Weg zurück gibt.
Wie meinen Sie das genau? Teilen Sie die Einschätzung einiger Türkei-Experten, dass die Türkei nun keine Demokratie mehr ist?
Macit Karaahmetoğlu: Die Demokratie der Türkei hatte schon immer gewisse Mängel, auch vor der Ära Erdogan. Im Großen und Ganzen hat sie aber funktioniert. Seit 10 Jahren sehen wir immer mehr Einschränkungen der Rechtsstaatlichkeit. Jetzt wird versucht, den aussichtsreichsten Oppositionskandidaten, der in Umfragen weit vor Erdogan liegt, per Haftbefehl mundtot zu machen. Das ist der Punkt, an dem man sich ernsthaft fragen muss, ob die Türkei überhaupt noch eine Demokratie ist.
Trotz massiver Proteste bleibt Imamoglu in Haft. Wie stark ist der Druck der Straße tatsächlich, und könnte er Erdogans Position gefährden?
Macit Karaahmetoğlu: Wir sehen landesweit eine starke Protestbewegung, die vermutlich in den kommenden Tagen noch stärker wird. Die Türkei hat, im Gegensatz zu vielen anderen autokratisch regierten Ländern, eine sehr lebendige, freiheitsliebende Zivilgesellschaft, die nicht so leicht kleinzukriegen ist. Insbesondere junge Menschen gehen aktuell auf die Straße, obwohl sie im Grunde nie ein anderes System als das des aktuellen Präsidenten kennenlernen durften. Sie haben – gelinde gesagt – die Nase voll. Erdogan wird hoffen, dass den Protesten die Kraft ausgeht, möglicherweise wird er auch durch eingeschleuste „Agents Provocateur“ versuchen, Demonstranten zu Straftaten anzustacheln. Dann hätte er eine Begründung, um gewaltsam gegen die Proteste vorzugehen. Die Verhaftungen gehen jetzt bereits in die Tausende. Das wird die Proteste aber aus meiner Sicht eher noch ankurbeln.
Sollte die Türkei weiterhin ein enger Partner der Nato und der EU bleiben, wenn sie sich immer weiter von demokratischen Prinzipien entfernt?
Macit Karaahmetoğlu: Völlig losgelöst vom Vorgehen Erdogans und den aktuellen Geschehnissen ist die Türkei ein enorm wichtiger Partner, sowohl als Nato-Mitglied als auch für die EU. Die USA sind unter Trump kein zu 100 Prozent verlässlicher Partner mehr. Die NATO wird diesen Bruch ohne die militärisch starke Türkei kaum kompensieren können. Auch für Europa ist die Türkei wichtig, die Türkei braucht aber auch Europa. Ich befürworte auch, nicht am formellen Status der Türkei als EU-Beitrittskandidat zu rütteln. Damit zeigt man dem Land eine Perspektive auf, ein Gegenmodell zum System Erdogan und stärkt somit die Opposition.