TU-Chefin Geraldine Rauch startet Gang vor Gericht: "Wissenschaftsstandort Berlin akut gefährdet"
Die Präsidentin der TU Berlin, Prof. Dr. Geraldine Rauch, rechnet im Exklusiv-Interview mit den Berliner Magazin „Capital Beat“ gnadenlos mit der Landesregierung ab: Gebrochene Versprechen, verschleppte Bauprojekte, existenzbedrohende Sparmaßnahmen! Nach monatelangen erfolglosen Verhandlungen sieht sie keine Alternative mehr – die renommierte Hochschule klagt gegen das Land Berlin. „Der Wissenschaftsstandort ist akut gefährdet“, warnt Rauch und kämpft damit für alle Forschenden in der Hauptstadt. Was steckt hinter dem eskalierenden Finanzchaos? Und was erwartet die selbstbewusste Wissenschaftlerin vom Regierenden Bürgermeister Kai Wegner?

Zur Person: Prof. Dr. Geraldine Rauch ist studierte Mathematikerin und Professorin für Medizinische Biometrie. Seit dem 1. April 2022 ist die gebürtige Heidelbergerin Präsidentin der angesehenen TU Berlin. Rauch hat mehrere Lehr- und Fachbücher geschrieben, ist Fachkollegiatin des Fachbereichs Medizin der Deutschen Forschungsgemeinschaft und Mitglied im Kuratorium der Technologiestiftung. Zudem ist sie aktiv in diversen Fachgesellschaften und setzt sich insbesondere für die Belange von Beschäftigten und Studierenden ein. Rauch gilt in der bundesdeutschen Politik als exzellent vernetzt, ihr Rat wird weit über Deutschland hinaus geschätzt.
Die TU Berlin erwägt eine Klage gegen das Land Berlin. Wie konkret sind Ihre rechtlichen Schritte, und welche Erfolgsaussichten sehen Sie?
Geraldine Rauch: Wir bereiten derzeit gemeinsam mit einer Kanzlei die Klageschrift vor, die gemeinschaftlich von der Landeskonferenz der Rektor*innen und Präsident*innen Berlin beauftragt wurde. Die Erfolgsaussichten schätzen die Anwälte als sehr hoch ein.
Warum glauben Sie, dass nur juristischer Druck die Landesregierung zu substantiellen Verhandlungen bewegen kann? Gab es keine Alternativen?
Geraldine Rauch: Schon im Mai 2024 musste die Landesregierung kurzfristig in unsere Rücklagen greifen. Damals haben wir dem zugestimmt, unter der Auflage, dass den Hochschulen in verschiedenen Punkten entgegengekommen wird. Für die TU Berlin ist insbesondere der Bau bzw. die Sanierung zweier Gebäude aus Eigenmitteln von entscheidender Bedeutung. Leider sind seit dem viele Versprechen gebrochen und alle Bemühungszusagen ergebnislos verlaufen. Nach neun Monaten ergebnislosen Gesprächen mit der Senatorin für Wissenschaft und unbeantworteten Gesprächsanfragen seitens des Regierenden sehen wir daher keine Alternativen.
Die Hochschulbauoffensive sollte die Infrastruktur stärken, doch Sie sprechen von einer „Hochschulbaublockade“. Woran machen Sie das konkret fest?
Geraldine Rauch: Bereits bewilligte Bauvorhaben wurden nachträglich aus der Sanierungsliste gestrichen. Gestartete Sanierungen wurden abgebrochen. Um ein konkretes Beispiel zu nennen: Unser dringend benötigter Physik-Neubau, war bereits als Investitionsvorhaben zur Sanierung bewilligt, wurde dann ein Jahr verschoben, flog dann unter Kai Wegner wieder aus dem Sanierungsprogramm raus. Als Alternative forderte uns die Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege dazu auf Mittel beim Bund zu beantragen durch einen so genannten 91B-Antrag – das ist ein aufwendiger Bewerbungsprozess bei dem ein Forschungsantrag bezogen auf ein Gebäude eingereicht werden muss. Viele unserer exzellenten Wissenschaftler*innen haben monatelang daran gearbeitet – mit Erfolg. Der Bund versprach das Bauvorhaben mit 31,5 Mio Euro zu fördern, eigentlich utner der Bedingung, dass das Land einen Eigenanteil leistet. Die TU Berlin hat nun zugesagt den Anteil des Landes aus Eigenmitteln zu bringen. Aber wir bekommen von der Senatsverwaltung der Finanzen keine Freigabe und gestern hieß es in den Medien, der Finanzsenator würde das Bauvorhaben nicht bewilligen. Das heißt viele Forschende haben umsonst gearbeitet, 31,5 Mio Euro Bundesförderung verfallen – und am Schlimmsten: Wir haben keine Perspektive zur Unterbringung unserer innovationstreibenden Experimentalphysik – wenn es bei diesem Entschluss bleibt werden wir die Experimentalphysik einstellen müssen. Eine solche Politik ist unverantwortlich und schadet dem Wissenschafts- und Innovationsstandort Berlin.
Sie warnen davor, dass Spitzenforschung in Gefahr sei. Können Sie Beispiele nennen, wo aktuelle Sparmaßnahmen bereits negative Effekte haben?
Geraldine Rauch: Wenn man schnell und akut sparen muss geht das fast nur bei der Beendigung befristeter Verträgen – das heißt es trifft die Geringverdienenden und die normalen Beschäftigten – ein absolutes soziales No Go. Wir werden auch Studiengänge einstellen müssen und Fachgebiete schließen, das geht aber nicht von heute auf morgen, denn es gibt ja laufende Verträge und laufende Studierendenkohorten.
Die Berlin University Alliance soll internationale Exzellenz sichern. Sehen Sie dieses Bündnis durch die aktuelle Krise gefährdet?
Geraldine Rauch: Im Gegensatz zur Landesregierung wissen unsere Forschenden, was es heißt, auf exzellentem Niveau zu arbeiten. Wir haben hervorragende Wissenschaftler*innen und einen tollen, starken Verbund. Wenn wir diesen Wettbewerb gewinnen, dann trotz dieser Landesregierung.
Die Landesregierung fordert, keine neuen Dauerstellen mehr zu schaffen. Wie wirkt sich das auf den akademischen Mittelbau und den wissenschaftlichen Nachwuchs aus?
Geraldine Rauch: Frau Czyborra ist angetreten und wollte die verbindliche Anschlusszusage für Postdocs im Berliner Hochschulgesetz umsetzen. Das Versprechen wurde gebrochen. Laut aktuellem Hochschulvertrag werden die Universitäten verpflichtet ihre Dauerstellenquoten sukzessive auf 40 Prozent zu steigern. Gleichzeitig werden wir schriftlich aufgefordert keine Dauerstellen einzurichten. Das ist eine Pseudo-soziale Politik, die unsere prekär Beschäftigen Wissenschaftler*innen verhöhnt.
Es gibt Befürchtungen, die Tarifbindung könne aufgehoben werden. Wie realistisch ist dieses Szenario, und welche Folgen hätte es für Ihre Universität?
Geraldine Rauch: Die Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege spricht bereits von der Aufhebung der Tarifbindung für die Beschäftigten. Das macht mich absolut fassungslos und wütend. Die Landesregierung weiß seit langem um die prekäre Haushaltslage, hat trotzdem Versprechen gemacht und Verträge gezeichnet. Nun werden alle ins Chaos gestürzt und es trifft die sozial Schwachen. Ich werde alles tun um dagegen anzukämpfen. Wir haben bereits jetzt einen massiven Fachkräftemangel und keinesfalls werden wir exzellente Köpfe zu noch schlechteren Arbeitsbedingungen an unsere Universitäten holen können.
Sie sagen, die Landesregierung scheitere nicht nur an einer Zukunftsstrategie, sondern auch an internen Abstimmungen. Glauben Sie, es fehlt am politischen Willen oder an administrativer Kompetenz?
Geraldine Rauch: Beides.
Welche Verantwortung trägt der Regierende Bürgermeister Kai Wegner in dieser Situation? Hat er auf Ihre Forderungen reagiert?
Geraldine Rauch: Herr Wegner hat seit Wochen auf ein Schreiben aller Hochschulpräsident*innen nicht reagiert. Noch im Herbst 2024 sagte er öffentlich, bei der Wissenschaft werde nicht gespart. Generell erfahren die Hochschulen alle wichtigen Informationen aus der Presse, nicht vom Senat.
Sie sprechen von einer existenziellen Bedrohung für Berlins internationalen Ruf als Wissenschaftsstandort. Was müsste aus Ihrer Sicht sofort geschehen, um diesen zu retten?
Geraldine Rauch: Es braucht eine Politik, die in dieser schwierigen Situation mit einem transparenten Plan voranschreitet. Zusagen und Versprechen dürfen nur da gegeben werden, wo sie auch haltbar sin. Die Koaltionsparteien müssen intern abgestimmt sein und nicht durch Widersprüche und Blockaden die Berliner Stadtgesellschaft ins Chaos stürzen.
Sollte es keine Einigung geben: Welche langfristigen Folgen befürchten Sie für die TU Berlin und die gesamte Hochschullandschaft der Stadt?
Geraldine Rauch: Der Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Berlin ist akut gefährdet, denn ohne Wissenschaftler*innen gibt es keinen Wirtschaftsaufschwung. Wir sind uns da sehr einig mit den Wirtschaftsvertreter*innen, es müsste uns nur jemand zuhören.
Fotos: Philipp Arnoldt und Oana Popa-Costea, TU-Berlin