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Interview

„Mit den Falschen, für die Falschen“ – Ein Gespräch mit Macit Karaahmetoğlu über die Union, rechte Brandmauern und soziale Politik
Mittwoch, 5. Februar 2025
Interview von Fatih Yildirim

Die deutsche Politik steht an einem Wendepunkt. Hunderttausende gehen auf die Straße, um gegen Rechtsextremismus zu demonstrieren, während Friedrich Merz sich in einer gefährlichen Grauzone bewegt. „Die CDU hat vergangene Woche Seite an Seite mit der AfD versucht, ein Gesetz im Bundestag durchzusetzen – ein Tabubruch in der Geschichte der Bundesrepublik“, sagt Macit Karaahmetoğlu. Denn während sich die Debatte aktuell vor allem um Migration dreht, werden andere, für den Alltag der Menschen entscheidende Themen vernachlässigt.

Zur Person: Macit Karaahmetoğlu, SPD-Bundestagsabgeordneter und Mitglied im Rechtsausschuss des Bundestags, will das ändern. Im Gespräch mit „Capital Beat“ spricht er über das Versagen der Union in der Wohnungspolitik, die Gefahr eines Rechtsrucks und darüber, warum für ihn die kommende Bundestagswahl eine Schicksalswahl ist.

Herr Karaahmetoğlu, die CDU hat im Bundestag erstmals offen mit der AfD kooperiert. Ein Dammbruch?

Macit Karaahmetoğlu: Ohne Frage. Wir erleben gerade eine Zäsur der demokratischen Kultur. Friedrich Merz hat sich bewusst in eine Situation begeben, in der er auf die Stimmen von Rechtsextremen angewiesen war – und hat diesen Tabubruch in Kauf genommen. Das ist nicht mehr die CDU, die wir von früher kennen. Sie stellt sich gegen das, was Konservative wie Helmut Kohl oder Angela Merkel immer als Grundprinzipien vertreten haben: eine klare Abgrenzung nach rechts.

Merz argumentiert, die SPD blockiere wichtige Vorhaben – und dass man ihm gar keine andere Wahl gelassen habe.

Macit Karaahmetoğlu: Das ist absurd. Die CDU versucht, die Realität umzudeuten. Niemand hat die Union gezwungen, mit der AfD zu stimmen. Sie hätte den Gesetzesentwurf anders einbringen oder eine demokratische Mehrheit suchen können. Aber Merz wollte ein Zeichen setzen – und das hat er auch. Leider in die völlig falsche Richtung.

Wie groß ist der Schaden für die politische Kultur?

Macit Karaahmetoğlu: Er ist erheblich. Wenn eine große Volkspartei ihre Brandmauer nach rechts durchbricht, normalisiert das den Einfluss der AfD. Das sehen wir doch schon: Rechte Ideologien sickern in die politische Sprache ein, menschenfeindliche Positionen werden als „legitime Sorgen“ getarnt. Das ist brandgefährlich. Deshalb demonstrieren Hunderttausende. Sie wollen ein klares Signal setzen: Das ist nicht unser Land, das ist nicht unser Weg.

In der öffentlichen Debatte dominiert das Thema Migration. Sollte die SPD stärker dagegenhalten?

Macit Karaahmetoğlu: Wir sollten das Thema Migration nicht den Rechten überlassen, aber wir dürfen auch nicht in die Falle tappen, dass es die einzige drängende Frage ist. Es gibt Themen, die viel mehr Menschen unmittelbar betreffen – zum Beispiel die Wohnungspolitik.

Warum ist die Wohnungsfrage so zentral?

Macit Karaahmetoğlu: Weil sie Millionen von Menschen betrifft – unabhängig von Herkunft oder Pass. Fast jeder in Deutschland macht sich Gedanken darüber, ob er oder sie sich die Miete noch leisten kann. Aber während wir als SPD für eine Verlängerung der Mietpreisbremse kämpfen, blockiert die Union genau das. CDU und CSU sind immer auf der Seite der Immobilienlobby, nicht der Mieterinnen und Mieter.

Was wäre die Folge, wenn die Mietpreisbremse 2025 ausläuft?

Macit Karaahmetoğlu: Dann können die Mieten bei Neuvermietungen ungebremst steigen. Und selbst in laufenden Mietverhältnissen hätten Vermieter mehr Spielraum für drastische Erhöhungen. Das würde vor allem Gering- und Durchschnittsverdiener hart treffen.

Die Union wirbt stattdessen mit Steuererleichterungen. Ist das keine Entlastung für die Bürgerinnen und Bürger?

Macit Karaahmetoğlu: Schauen Sie sich die Zahlen an: Von den Entlastungsplänen der CDU profitieren vor allem Spitzenverdiener. Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen sehen davon fast nichts. Es geht um Politik für einige wenige Millionäre oder für viele Millionen Menschen.

Ist die Wahl 2025 also eine Entscheidung zwischen sozialer Gerechtigkeit und einem Rechtsruck?

Macit Karaahmetoğlu: Ja, die kommende Wahl wird eine Richtungsentscheidung. Wollen wir ein Land, das solidarisch bleibt, das sich um bezahlbares Wohnen, gute Löhne und eine starke Demokratie kümmert? Oder ein Land, in dem soziale Themen untergehen und rechte Parteien immer mehr Einfluss bekommen? Die Wählerinnen und Wähler haben es in der Hand.


Macit Karaahmetoğlu – Vom Rechtsanwalt zum Bundestagsabgeordneten

Macit Karaahmetoğlu wurde 1968 in Rize, Türkei, geboren und kam im Alter von elf Jahren nach Deutschland. Nach der mittleren Reife und dem Abitur studierte er Rechtswissenschaften und gründete 1997 seine eigene Kanzlei in Ditzingen. Als Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht etablierte er sich über die Jahre in seinem Beruf.

2021 zog Karaahmetoğlu für die SPD in den Deutschen Bundestag ein. Dort ist er heute ordentliches Mitglied im Rechtsausschuss sowie im Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung. Darüber hinaus engagiert er sich als stellvertretender Vorsitzender der Deutsch-Türkischen Parlamentariergruppe und als Präsident der Deutsch-Türkischen Gesellschaft e.V. in Berlin für den interkulturellen Austausch.

In seinem Wahlkreis Ludwigsburg ist Karaahmetoğlu eng mit der deutsch-türkischen Community verbunden. Bundeskanzler Olaf Scholz besucht im Rahmen des Wahlkampfs an diesem Freitag Ludwigsburg, um sich in einer offenen Gesprächsrunde mit Bürgerinnen und Bürgern auszutauschen. Das Format orientiert sich an „Mevzular Açık Mikrofon“, einem beliebten türkischen Talk.

Während Karaahmetoğlu sich in Berlin mit juristischen und parlamentarischen Themen befasst, bleibt er in seinem Wahlkreis im direkten Austausch mit den Bürgerinnen und Bürgern. Sein politisches Engagement konzentriert sich auf soziale Gerechtigkeit, bezahlbares Wohnen und die Stärkung demokratischer Teilhabe.