Kampf um Europas Zukunft: CDU-Außenpolitiker warnt vor Putins Expansionsplänen und Trumps Kurswechsel
Inmitten wachsender globaler Spannungen hat sich der CDU-Außenpolitiker Johann Wadephul in einem Gespräch mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ entschieden zur Rolle Deutschlands in der Welt geäußert. Der Christdemokrat aus Schleswig-Holstein, dem Ambitionen auf das Amt des Außenministers nachgesagt werden, sieht Deutschland in einer historischen Bewährungsprobe – zwischen einem aggressiven Russland, einem unberechenbaren Amerika und einer fragmentierten Europäischen Union.

Wadephuls außenpolitische Prägung wurzelt in der Zeit des Kalten Kriegs. Als junger Zeitsoldat habe er die deutsche Teilung unmittelbar erlebt – mit Verwandtschaft in der DDR und einem Feindbild, das durch die Präsenz des Warschauer Pakts direkt vor der eigenen Haustür Gestalt annahm. Diese frühen Erfahrungen hätten sein Bekenntnis zur Freiheit und seine Bereitschaft zur Verteidigung westlicher Werte grundgelegt.
Heute sehe er Parallelen zu jener Epoche. Damals wie heute gebe es Stimmen, die unter dem Deckmantel des Pazifismus zu Nachgiebigkeit aufriefen. Für ihn sei jedoch klar, dass eine solche Haltung in der jetzigen Situation der Ukraine und damit der europäischen Sicherheitsordnung den Rücken kehren würde. Putins Russland, so seine Einschätzung, sei nicht nur disruptiv, sondern aggressiv und expansiv. Der Kremlchef strebe offenbar nach einer Reetablierung russischer Hegemonie in Ostmitteleuropa – Hinweise darauf seien in Moldau, Georgien, der Ukraine und in hybriden Operationen gegen NATO-Staaten längst sichtbar.
Wadephul vertritt im Gespräch mit FAS-Redakteur Konrad Schuller die Überzeugung, dass im Donbass auch die Freiheit Deutschlands verteidigt werde. Es gehe nicht nur um territoriale Integrität der Ukraine, sondern um die Frage, ob Europa einem klassischen Eroberungskrieg tatenlos zusehe. Die NATO, so mahnt er, stehe auf dem Prüfstand – nicht zuletzt wegen zunehmender Zweifel an der Verlässlichkeit der Vereinigten Staaten.
Mit Blick auf eine mögliche „Koalition der Willigen“, die Truppen zur Absicherung eines Waffenstillstands in die Ukraine entsenden könnte, befürwortet Wadephul eine deutsche Beteiligung zumindest an der konzeptionellen Ausarbeitung. Konkrete Entscheidungen müssten jedoch von der nächsten Bundesregierung getroffen werden.
Besorgt zeigt er sich über die Aussagen amerikanischer Spitzenpolitiker, darunter des republikanischen Vizepräsidentschaftskandidaten J.D. Vance, der Europa mangelnde Verteidigungsbereitschaft vorwarf. Solche Äußerungen hält Wadephul für eine beunruhigende Verkehrung der Tatsachen und einen Affront gegen die transatlantische Partnerschaft.
Zugleich warnt er vor einer trügerischen Sicherheit: Die Bundeswehr sei derzeit nicht ausreichend aufgestellt, um im Ernstfall verteidigungsfähig zu sein. Er verweist auf Berechnungen des Generalinspekteurs der Bundeswehr, denen zufolge Deutschland rund 100.000 zusätzliche Soldaten benötige. Der Versuch, diese über Freiwilligkeit zu gewinnen, müsse ernsthaft überprüft werden – notfalls sei eine neue Form der Wehrpflicht unumgänglich.
In der Sicherheitsarchitektur Europas fordert Wadephul ein Umdenken. Er spricht sich für Gespräche mit Großbritannien und Frankreich über eine gemeinsame europäische nukleare Abschreckung aus. Auch wenn eine eigenständige europäische Verteidigung nicht kurzfristig zu realisieren sei, müsse jetzt damit begonnen werden.
Skepsis äußert er gegenüber der Einigkeit innerhalb der EU. Die Blockadehaltung einzelner Mitgliedstaaten – namentlich Ungarns – stelle die Handlungsfähigkeit der Union infrage. Deshalb müsse, so sein Vorschlag, offen über Alternativen gesprochen werden: entweder eine reformierte EU oder funktionale Bündnisse außerhalb des institutionellen Rahmens.
Zum Nato-Beitritt der Ukraine fordert Wadephul eine klare Perspektive, jedoch ohne unmittelbare Einladung. Angesichts des Widerstands aus Teilen Europas und den USA müsse die Einheit des Bündnisses gewahrt bleiben. Ziel sei, die Ukraine militärisch so stark zu machen, dass sie nicht länger Getriebene, sondern gestaltende Kraft ihrer eigenen Zukunft sei.
Zur transatlantischen Beziehung äußert sich Wadephul differenziert. Zwar glaube er weiterhin an Amerikas Schutz, doch erkenne er zunehmend systemische Unterschiede – etwa im Verständnis von Meinungsfreiheit oder im politischen Umgang mit Technologieunternehmen. Europa müsse deshalb seine strategische Souveränität stärken.
Auch parteiintern sieht er Klärungsbedarf. Die Äußerungen des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer zur Wiederaufnahme russischer Gasimporte wertet er als Ausdruck ostdeutscher Prägungen, die emotional stark von sowjetischer Nähe beeinflusst seien. Ein offener Dialog sei notwendig, um innerparteiliche Risse zu kitten.
Insgesamt plädiert Wadephul für eine neue europäische Entschlossenheit – nicht nur gegenüber Russland, sondern auch im Selbstverständnis der EU. Für ihn steht fest: In der Ukraine entscheidet sich mehr als das Schicksal eines Landes. Es geht um die Verteidigung eines Europas, das sich nicht unterordnen, sondern behaupten will.
Foto von Johann Wadepuhl: Tobias Koch / www.tobiaskoch.net
Weitere Fotos: Nato Press Service