In Trumps Amerika zählen keine Regeln – nur Zugang zur Macht
Eine der größten Veränderungen in der Geschichte der Wirtschaftspolitik der USA hat die Welt in den vergangenen Wochen erlebt. Innerhalb weniger Tage verkündete Präsident Trump massive Zollerhöhungen, die für Panik an den Finanzmärkten sorgten – nur um kurz darauf wieder zurückzurudern. Weder wurde der Kongress in nennenswerter Weise konsultiert, noch deutet etwas darauf hin, dass die Entscheidungen auf einem strukturierten, rationalen Prozess beruhten.

Ökonomen, die selten einer Meinung sind, zeigten sich fast einhellig kritisch – manche sogar spöttisch. Auch Politikexperten taten sich schwer, irgendeine strategisch nachvollziehbare Logik in der Drohung mit einem globalen Handelskrieg zu erkennen. Und doch ergibt das Vorgehen in einem anderen Licht betrachtet durchaus Sinn – denn es geht möglicherweise gar nicht um Handel, sondern um Macht.
Das schreibt Francisco Rodríguez, Professor für Internationale Beziehungen an der University of Denver, in einem lesenswerten Gastbeitrag in der „New York Times“.
Laut US-Verfassung liegt die Zuständigkeit für Handelsfragen beim Kongress. Doch Trump berief sich auf das „International Emergency Economic Powers Act“, das es dem Präsidenten erlaubt, im Fall wirtschaftlicher Notlagen den Handel zu regulieren – und umging damit effektiv das verfassungsmäßige Kontrollorgan. Die Botschaft war klar: Die Exekutive beansprucht umfassendere Befugnisse, als ihr laut Verfassung zustehen.
Die Finanzmärkte reagierten entsprechend: Anders als in früheren Krisen stieg der Dollar nicht – im Gegenteil, er fiel deutlich. Das signalisiert, dass Investoren nicht nur den ökonomischen Schaden fürchten, sondern zunehmend daran zweifeln, ob die USA überhaupt noch ein verlässlicher Ort für Kapitalanlagen sind.
Für Beobachter aus Ländern, in denen sich autoritäre Tendenzen abzeichnen, wirkt dieses scheinbar irrationale Vorgehen jedoch vertraut. Ähnliche Muster lassen sich etwa in Venezuela erkennen, wo Hugo Chávez ab 2003 durch staatlich festgelegte Preise und Wechselkurse die Wirtschaft lähmte – und sich gleichzeitig die Kontrolle über die Devisenvergabe sicherte. Oder in Simbabwe, wo Robert Mugabe mit der Enteignung weißer Landbesitzer nicht nur die Landwirtschaft ruinierte, sondern sich politischen Gefolgsleuten das Land als Belohnung zusprach.
Solche Maßnahmen erscheinen ökonomisch unvernünftig, sind aber politisch äußerst wirksam. Wie meine Forschungen in Entwicklungsländern zeigen, wissen die Verantwortlichen meist sehr genau, was sie tun. Es geht ihnen nicht um wirtschaftliche Effizienz, sondern darum, Macht zu sichern und Allianzen zu belohnen.
Auch im Weißen Haus gibt es sicher überzeugte Protektionisten. Doch die vermeintliche Willkür hinter Trumps Entscheidungen ist kein Nebeneffekt – sie ist das Prinzip. Nur durch scheinbar unberechenbare Maßnahmen kann ein Regierungskreis, der seine Macht ausweiten will, demonstrieren: Wir setzen die Regeln.
Dieses Muster findet sich nicht nur in der Handelspolitik. Trump nutzte zum Beispiel ein Gesetz von 1798, um hunderte Venezolaner ohne rechtsstaatliches Verfahren nach El Salvador abzuschieben – unter dem Vorwand einer angeblichen „Invasion“ krimineller Banden. Oder er erließ Exekutivbefehle gegen Kanzleien, die zuvor rechtlich gegen seine Politik vorgegangen waren. Solche Vorgänge folgen einer inneren Logik: dem systematischen Ausbau exekutiver Macht auf Kosten von Legislative, Justiz und öffentlichem Dienst.
Die Konsequenzen für die Wirtschaft sind langfristig verheerend. Unternehmen werden sich nicht mehr nach Marktlogik, sondern nach Nähe zur Macht orientieren. Wer keinen Zugang hat, verliert. Trump machte dies deutlich, als er verkündete, Ausnahmen von den neuen Zöllen würden „instinktiv“ vergeben. Der Subtext: Es gibt keine Regeln – nur Zugang.
Bereits vor Jahrzehnten beschrieb die Ökonomin Anne Krueger diese Dynamik als das Wesen einer rent-seeking-Gesellschaft – einer Ordnung, in der wirtschaftlicher Erfolg nicht durch Innovation, sondern durch politische Einflussnahme entsteht.
Diese Entwicklung schwächt nicht nur die Wirtschaftskraft eines Landes, sondern untergräbt auch die Fundamente demokratischer Institutionen. Wer Wirtschaftsmacht willkürlich verteilt, untergräbt Rechtsstaat und Wettbewerb – und legt den Grundstein für autoritäre Herrschaft.
Die Zollerhöhungen werden Amerika nicht stärken. Sie stärken nur die, die aktuell an der Macht sind – und gefährden die demokratische Ordnung der Vereinigten Staaten. Das ist der wahre Preis dieser Machtpolitik, ist Francisco Rodríguez überzeugt.