FDP-Politiker Jens Teutrine will pflegende Angehörige entlasten – und vergessene Kinder sichtbar machen
Pflegende Angehörige kämpfen nicht nur mit der Belastung der Pflege, sondern auch mit einem Dschungel aus Bürokratie. Die FDP fordert jetzt einfachere Antragsverfahren, digitale Lösungen und besseren Zugang zu Hilfsmitteln – ohne nervenaufreibende Wartezeiten. Besonders brisant: Rund 500.000 Kinder und Jugendliche pflegen ihre Angehörigen, doch kaum jemand spricht darüber. FDP-Politiker Jens Teutrine fordert im Gespräch mit Capital-Beat-Reporter Fatih Yildirim Anerkennung und Unterstützung für diese jungen Helden des Alltags.

Der FDP-Abgeordneten Jens Teutrine ist Sprecher für Bürgergeld und Pflege sowie Vorsitzender der Jungen Gruppe innerhalb der Freien Demokraten im Bundestag.
Pflegende Angehörige leisten einen unverzichtbaren Beitrag zur Gesellschaft und entlasten unser Gesundheitssystem erheblich. Welche konkreten Maßnahmen planen Sie, um ihre finanzielle Situation zu verbessern und sicherzustellen, dass sie nicht in Altersarmut abrutschen?
Jens Teutrine: Ich habe mich dafür eingesetzt, dass wir als FDP ein klares Signal im Wahlprogramm senden: Pflegende Angehörige entlasten wir, indem Pflege und Beruf besser vereinbar werden. Ein längeres Ausscheiden aus dem Beruf ist das größte Armutsrisiko. Deswegen muss insbesondere auch die Versorgung in der ambulanten Pflege Priorität haben. Darüber hinaus sind Unterstützungsangebote sehr bürokratisch, und deren Beantragung kostet viel Zeit, Wissen und Kraft. Wir wollen dies durch eine Bündelung ändern und entlastende Maßnahmen zugänglicher machen. Darüber hinaus gibt es eine Gruppe von pflegenden Angehörigen, über die kaum jemand spricht: pflegende Kinder und Jugendliche. Diese laufen unter dem Radar, obwohl sie eine immense Verantwortung tragen. Das können ganz leichte Tätigkeiten sein, beispielsweise bei der Unterstützung der Großmutter, um die sich aber hauptsächlich die Eltern kümmern. Es können aber auch herausfordernde Aufgaben sein, beispielsweise wenn ein Kind ganz allein für die alleinerziehende Mutter zuständig ist. Die Bundesregierung konnte auf meinen Fragenkatalog keine Auskunft über deren Lebenslage geben. Wer aber die Situation nicht kennt, kann auch nicht adäquat unterstützen. Die FDP ist die einzige politische Kraft, die die Anliegen dieser 500.000 pflegenden Kinder und Jugendlichen im Wahlprogramm aufgreift, beispielsweise durch niedrigschwellige Beratungsangebote und Sensibilisierung bei Lehrkräften.
Ein zentraler Baustein zur Unterstützung pflegender Angehöriger ist der kostenfreie Zugang zu zum Verbrauch bestimmter Pflegehilfsmitteln, da diese den Pflegealltag erleichtern und gesundheitliche Risiken für Pflegende und Pflegebedürftige reduzieren. Welche Schritte sollten aus Ihrer Sicht unternommen werden, um sicherzustellen, dass diese Hilfsmittel unbürokratisch und flächendeckend bereitgestellt werden?
Jens Teutrine: Mir berichten pflegende Angehörige immer wieder, dass der Zugang zu Leistungen und Hilfsmitteln sehr bürokratisch ist. Das kostet zusätzlich mentale Kraft, Zeit und Ressourcen. Ein zentraler Schritt ist die Digitalisierung und Vereinfachung der Antragsverfahren, damit Pflegehilfsmittel ohne lange Wartezeiten und komplizierte Genehmigungsverfahren zur Verfügung gestellt werden können. Außerdem müssen die Leistungen so aufeinander abgestimmt und gegebenenfalls gebündelt werden, dass man nicht immer dasselbe erneut abgefragt wird und unterschiedliche Genehmigungszeiträume nicht zu zusätzlicher Bürokratie führen. Wir setzen uns dafür ein, dass der Entlastungsbetrag für haushaltsnahe Dienstleistungen zugänglicher wird und Leistungen wie das Pflegeunterstützungsgeld endlich auch für Selbstständige abrufbar sind und nicht nur – wie bislang – für Angestellte. Darüber hinaus können eine verstärkte Aufklärung über bestehende Ansprüche sowie eine bessere Vernetzung zwischen Pflegekassen, Apotheken und Sanitätshäusern zusätzlich dazu beitragen, dass Hilfsmittel flächendeckend und unkompliziert verfügbar sind. Das klingt alles sehr abstrakt, aber clevere Detailsteuerung kann echten Bürokratieaufwand abbauen. Damit würden pflegende Angehörige von unnötigem Zusatzballast befreit werden.
Bürokratische Hürden erschweren vielen pflegenden Angehörigen den Zugang zu Unterstützungsleistungen. Wie wollen Sie das Antragsverfahren für Pflegegeld, Entlastungsangebote und Pflegehilfsmittel digitalisieren und vereinfachen, um Betroffene schneller und effizienter zu entlasten?
Jens Teutrine: Ich setze mich für eine umfassende Digitalisierung und Vereinfachung der Antragsverfahren in der Pflege ein, um bürokratische Hürden abzubauen und pflegende Angehörige schneller zu entlasten. Konkret wollen wir als FDP “doppelte Prüfungen ohne Mehrwert, unnötige Nachweis- und Dokumentationspflichten sowie überbordende Vorgaben” abschaffen. Das bedeutet: digitale Antragsstellung, automatische Datenübernahme, Echtzeit-Statusverfolgung sowie eine bessere Beratung und Unterstützung. Aber denken wir doch gerne auch noch grundsätzlicher: Wir wollen bestehende Leistungsansprüche der jeweiligen Pflegegrade in ein monatliches Pflegebudget bündeln, über das unbürokratisch und transparent verfügt werden kann. So kann jede Person selbst und ohne viel Aufwand entscheiden, welche Unterstützungs- und Pflegeleistungen bei der Gestaltung des Alltags am besten sind. Das wäre eine massive Entlastung und Flexibilität für die Betroffenen.
Pflegebedürftige werden oft von Angehörigen betreut, die keinerlei Schulung oder Anleitung erhalten. Halten Sie verpflichtende, aber kostenlose Schulungen für pflegende Angehörige für sinnvoll, um sowohl die Pflegequalität als auch die Gesundheit der Pflegenden zu schützen?
Jens Teutrine: Die Frage suggeriert, dass Angehörige sich nicht ausreichend gut um Pflegebedürftige kümmern. Dem möchte ich widersprechen. Angehörige wissen am besten, was gut für ihre Nächsten ist, und ich sehe keinen Anlass, diesen Menschen über Pflichtkurse Misstrauen auszusprechen – im Gegenteil. Ich empfehle allerdings bei Unsicherheiten im Umgang mit Pflegebedürftigen, auf das gut ausgebaute Netz an ehrenamtlichen und professionellen Pflegeberatern zuzugehen. Nun wieder unnötige Schulungen verpflichtend zu machen, belastet Angehörige. Der Weg muss sein, für Entlastungen zu sorgen. Stattdessen soll der Zugang zu kostenlosen, freiwilligen Schulungen deutlich ausgebaut und attraktiver gestaltet werden.
Die Zahl der Pflegebedürftigen wird in den kommenden Jahren weiter steigen, während der Fachkräftemangel in der Pflege zunimmt. Welche politischen Konzepte haben Sie, um pflegende Angehörige langfristig zu entlasten und die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf nachhaltig zu verbessern?
Jens Teutrine: Die FDP – das sollte deutlich geworden sein – steht wie keine zweite Partei für Entlastungen im Steuer- und Abgabesystem. Das wirkt dem Fachkräftemangel in der Pflege entgegen. Ausländische Berufsabschlüsse in der Pflege sollen einfacher und schneller anerkannt werden. Wir wollen bundesweite Fast-Track-Verfahren für Pflegekräfte aus dem Ausland einführen. Außerdem geht es auch um Sichtbarkeit: Lehrpersonal an Schulen und Arbeitgeber müssen sensibilisiert werden, um die Herausforderungen pflegender Angehöriger und pflegender Kinder besser zu verstehen. Ideen haben wir als FDP genug, aber es geht auch um ein Signal an die Gesellschaft: In der Pflege kommen Herausforderungen auf die Gesellschaft zu, die der Staat und die professionelle Pflege nicht abfedern können. Diese Wahrheit muss auch ausgesprochen werden. Wer Angehörigen jetzt verspricht, dass alles schon irgendwie gehen wird, betreibt Augenwischerei.
Welche Rolle spielt das Thema Pflege in Ihrem Wahlkampf, in Ihrer Heimat und für Sie persönlich?
Jens Teutrine: Das Thema Pflege ist ein Herzensthema für mich. Als ich Jugendlicher war, gab es in meiner engeren Familie einen Schicksalsschlag, der zu einer längeren Phase der Pflegebedürftigkeit geführt hat. Ich habe bei leichten Betreuungs- und Pflegeleistungen geholfen. Diese Phase hat mich geprägt. Die Pflege, insbesondere von schätzungsweise 500.000 Kindern und Jugendlichen, die ihre Angehörigen – wie Eltern oder Geschwister – pflegen, liegt mir ganz besonders am Herzen.