Deutschland wird auch in Zukunft Rohstoffe abbauen müssen
Eine Studie des RWI zeigt, dass Deutschland auch in den kommenden Jahrzehnten Rohstoffe im eigenen Land abbauen muss. Doch oft stellen sich dem Bürgerinitiativen in den Weg.

Die Atomkraftwerke in Deutschland sind abgeschaltet, aber den dringend benötigten Strom aus Kernkraft importiert das Land aus Frankreich. Gas zu fördern ist fast unmöglich – trotz technischer Unbedenklichkeit wird Fracking abgelehnt –, aber das so gewonnene Gas wird aus den USA und anderen Staaten importiert. Auch die noch verbliebenen Braunkohlegruben sollen bald geschlossen werden; die Kohle kauft man lieber im Ausland. Deutschland ist ein Land der Auslagerer – was man selbst nicht vor der Haustür will, mutet man den Bürgern anderer Staaten zu.
Bei den Primärrohstoffen wird diese Strategie nicht aufgehen. Das ist das Ergebnis einer Studie des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung. Primärrohstoffe, das sind unter anderem Kies, Sand, Naturstein und Kalk, der für die Zementproduktion benötigt wird. Sie werden gebraucht, um die dringend benötigten Wohnungen zu bauen, um die von der neuen Bundesregierung geplanten Infrastrukturinvestitionen in Schienenwege, Straßen, Brücken und öffentliche Gebäude umsetzen zu können – und auch, um neue Bürogebäude und Fabriken zu errichten. Auch wenn Recycling eine Möglichkeit ist, Ressourcen einzusparen, geht das RWI davon aus, dass der Anteil von recyceltem Baumaterial – sogenannten Sekundärrohstoffen – in den kommenden 20 Jahren stabil bleibt oder nur leicht von aktuell 15,2 Prozent auf maximal 16,3 Prozent im Jahr 2045 steigt. Der grüne Traum, Primärrohstoffe mithilfe von Recycling weitgehend zu ersetzen, wird sich nicht erfüllen.
Im Gegenteil: Durch die Dekarbonisierung – zum Beispiel die Schließung von Kohlekraftwerken und den Umbau der Stahlindustrie – wird der Bedarf an Primärrohstoffen sogar noch steigen. „Insbesondere die Kraftwerknebenprodukte REA-Gips, ein Nebenprodukt der Rauchgasentschwefelung von Braunkohlekraftwerken, und Steinkohlenflugaschen werden bis spätestens 2038 infolge des Kohleausstiegs komplett wegfallen“, erklärt Jochen Dehio vom Kompetenzbereich „Umwelt und Ressourcen“ beim RWI auf Nachfrage von Capital Beat. „Zudem wird die Menge an Roheisenschlacken deutlich zurückgehen. Dabei handelt es sich um Hochofenschlacken sowie andere Schlacken aus der Roheisenerzeugung. Dieser Rückgang ist eine Folge der Dekarbonisierung der Stahlindustrie, die mit einem Zurückfahren der Hochofenroute und einem gleichzeitigen Ausbau der Stahlerzeugung durch die Direktreduktion mithilfe von Wasserstoff verbunden sein wird.“
Roheisenschlacken werden zum Beispiel in Form von Hüttensand bei der Betonherstellung verwendet. Die zurückgehenden Mengen an Roheisenschlacke müssen durch Kalkstein und Ton für die Zementherstellung ersetzt werden. „Die wegfallenden Steinkohlenflugaschen“, sagt Dehio, „die zuvor in der Betonherstellung zum Einsatz kamen, werden ebenfalls durch eine Ausweitung der Primärrohstoffgewinnung ausgeglichen, und zwar durch Kalkstein sowie Kies und Sand. REA-Gips ähnelt weitgehend dem Naturgips.“ Die wegfallenden Mengen an REA-Gips müssten durch eine Ausweitung der Gewinnung von Naturgips kompensiert werden.
Doch ob Ton, Sand, Kies oder Kalk: Der Abbau, vor allem an neuen Standorten, führt zu Protesten. Am Niederrhein, einem wichtigen Kiesabbaugebiet, sorgen neue Gruben seit Jahren für Streit und beschäftigen die Politik und die Gerichte. Wie kann man die Akzeptanz erhöhen? „Am bedeutendsten“, sagt Dehio, „ist die Verstärkung des Bewusstseins für die Notwendigkeit der Rohstoffgewinnung – etwa für die Errichtung von Infrastruktur, den Wohnungsbau oder zur Erreichung der Klimaneutralität.“ Auch eine frühzeitige und transparente Konkretisierung der Folgenutzung von Rohstoffgewinnungsflächen – in Form einer Rekultivierung oder Renaturierung als obligatorischer Bestandteil der Genehmigungsverfahren – könne die Vorbehalte und Widerstände gegen die Rohstoffgewinnung vermindern.
Ob das reicht, bleibt abzuwarten. Einer der Hauptgründe für Proteste gegen Ansiedlungen jeder Art ist die Sorge vor einem Verlust des Wertes von nahegelegenen Immobilien.