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Debatte um europäische Verteidigungsunion

Samstag, 3. Mai 2025
Egon Huschitt

Die Idee einer Europäischen Verteidigungsunion gewinnt angesichts der aktuellen sicherheitspolitischen Herausforderungen an Gewicht und Dynamik. Während sich die EU-Staaten auf eine unsichere transatlantische Partnerschaft und einen anhaltenden Krieg in der Ukraine einstellen, werden die Rufe nach mehr Eigenständigkeit und gemeinsamer Verteidigung lauter.

Die Europäische Kommission hat 2025 die Verteidigung als politischen Schwerpunkt ausgerufen. Mit der Schaffung eines eigenen Kommissars für Verteidigung und Raumfahrt sowie der Integration von Sicherheits- und Verteidigungspolitik in den neuen Arbeitsprogrammen will die EU ihre Handlungsfähigkeit stärken. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sieht die Verteidigung als Schlüssel zur Vollendung des Binnenmarkts. Bis 2030 sollen vier Säulen die EVU tragen: Handlungsfähigkeit, Investitionen, Resilienz und Partnerschaften. Die Mitgliedstaaten haben ihre Verteidigungsausgaben deutlich erhöht: 2024 wurden 326 Milliarden Euro bereitgestellt, ein Anstieg von über 100 Milliarden Euro seit 2021.

Ein zentrales Element ist der Aufbau einer schnellen Eingreiftruppe von 5000 Soldaten. Zudem werden Programme wie der Europäische Verteidigungsfonds EDF und die Europäische Verteidigungsindustrie-Initiative EDIP vorangetrieben, um Forschung, Entwicklung und gemeinsame Beschaffung zu stärken.

Frankreich und Deutschland: Motoren mit unterschiedlichen Vorstellungen

Frankreich und Deutschland gelten traditionell als Antreiber der europäischen Verteidigungsintegration. Doch auch zwischen ihnen gibt es Differenzen. Jüngst wurde ein 150-Milliarden-Euro-Plan zur Stärkung der europäischen Rüstungsindustrie kontrovers diskutiert: Frankreich pocht darauf, die Mittel ausschließlich für Produkte aus der EU zu verwenden, während Deutschland auch Partnerländer wie Großbritannien, Norwegen oder die Schweiz einbeziehen möchte. Unter einem Kanzler Friedrich Merz und Außenminister Johann Wadephul könnte sich die deutsche Politik verändern.

Friedrich Merz sieht die Stärkung der europäischen Verteidigung als zentrale Aufgabe der kommenden Jahre. Angesichts der Unsicherheiten in den USA fordert er eine Unabhängigkeit Europas von amerikanischer Schutzgarantie und schlägt Gespräche mit Frankreich und Großbritannien über eine Erweiterung des nuklearen Schutzes vor. Merz unterstützt eine uneingeschränkte Unterstützung der Ukraine und plädiert für eine stärkere europäische Verteidigungsindustrie sowie gemeinsame Beschaffungsregeln. Sebastian Käding vom Bundeswehrverband betont derweil, dass die Soldaten bestmöglich ausgerüstet und geschützt werden müssten und soziale wie arbeitsrechtliche Belange nicht aus dem Blick geraten dürften.

Deutschland und Frankreich betonen aber schon lange die Notwendigkeit einer stärkeren europäischen Verteidigung betonen. Unterschiedliche politische Kulturen, industriepolitische Interessen und die Frage der nuklearen Abschreckung sind Hemmnisse für eine schnelle Einigung. Analysten wie Nicole Koenig und Marie Walter-Franke vom Jacques Delors Institut sprechen in ihrem Policy Paper “France and Germany: Spearheading a European Security and Defence Union?” von “inkrementellen Schritten” und einer „gemischten Bilanz“: Es gibt Fortschritte, aber auch viele Bremser.

Der frühere CDU-Chef und CDU-Außenpolitiker Armin Laschet fordert eine stärkere europäische Rolle bei diplomatischen Friedensbemühungen im Ukraine-Krieg. Er plädiert im Phoenix-Interview für eine Unterstützung der Ukraine „mit den richtigen Mitteln“ und betont, dass der Krieg nicht allein militärisch zu lösen sei. Europa habe die Chance verpasst, diplomatische Lösungen aufzuzeigen, und müsse nun selbstbewusster auftreten. Laschet fordert eine Europäische Verteidigungsunion und schlägt vor, das Weimarer Dreieck aus Deutschland, Frankreich, Polen wiederzubeleben, um die europäische Handlungsfähigkeit zu stärken. „Wir Europäer müssen selbst stark sein“, so Laschet.

Die SPD teilt die grundsätzliche Zielsetzung, ist aber traditionell vorsichtiger bei Waffenlieferungen und betont stärker die Einbindung in multilaterale Strukturen wie die Nato.

Trotz aller Initiativen gibt es erhebliche Hürden. Die in Paris ansässige “Fondation Robert Schuman” verweist auf die mangelnde Interoperabilität der europäischen Armeen und die starke Abhängigkeit von US-Rüstungstechnologie: Zwischen Juni 2022 und Juni 2023 wurden 78 Prozent der Beschaffungen außerhalb Europas getätigt, davon 63 Prozent in den USA. Die EU ist weiterhin auf den Schutz durch die Nato angewiesen, was die Eigenständigkeit einschränkt, heißt es im Paper “What future for European defence?” von Iris Herbelot von der University of Paris Nanterre.

Ein weiteres Problem ist die Fragmentierung der europäischen Verteidigungsindustrie und die fehlende Standardisierung. Die Kommission plant daher, bis 2030 verbindliche Quoten für gemeinsame Beschaffung und europäische Produktion einzuführen, was allerdings auf Widerstand einzelner Mitgliedstaaten stößt.

Chancen und Perspektiven

Die Befürworter einer EVU sehen große Chancen: Mehr Unabhängigkeit von den USA, eine effizientere Nutzung von Ressourcen durch gemeinsame Beschaffung und Forschung, sowie eine stärkere Position Europas in der Weltpolitik. Die aktuellen geopolitischen Entwicklungen – insbesondere die Unsicherheit über die US-Politik – erhöhen den Druck, eigene Fähigkeiten auszubauen. Gleichzeitig warnen Kritiker vor überzogenen Erwartungen, politischen Blockaden und der Gefahr, dass nationale Interessen weiterhin überwiegen. Die Integration der Verteidigung bleibt ein „work in progress“, bei dem Vision und Realität oft auseinanderklaffen.

Die Debatte um eine Europäische Verteidigungsunion ist vielschichtig: Während viele Akteure die Notwendigkeit einer stärkeren europäischen Verteidigung anerkennen, gibt es erhebliche Differenzen über den Weg dorthin. Die Chancen liegen in mehr Eigenständigkeit, Effizienz und globalem Einfluss. Die Risiken bestehen in politischen Grabenkämpfen, industriepolitischen Interessenkonflikten und der weiterhin starken Abhängigkeit von den USA. Klar ist: Die Diskussion ist in Bewegung – und Europa steht an einem Scheideweg.

Nicole Koenig und Marie Walter-Franke vom Jacques Delors Institut: “France and Germany: Spearheading a European Security and Defence Union?” institutdelors.eu

Iris Herbelot: “What future for European defence?” robert-schuman.eu

Fotos: Nato.int

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