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Katharina Reiche schlägt energiepolitisch einen ganz anderen Kurs ein als Vorgänger Robert Habeck

Zusätzliche Gaskraftwerke und weniger Förderung für Erneuerbare

Dienstag, 7. Oktober 2025
Florian Lamp

Seit dem Amtsantritt von Katharina Reiche (CDU) als Bundesministerin für Wirtschaft und Energie zeichnet sich ein klarer Kurswechsel in der deutschen Energiepolitik ab. Während ihr Vorgänger Robert Habeck noch auf den beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren und eine strikte Wasserstoff-Kompatibilität neuer Anlagen setzte, konzentriert sich Reiche nun vor allem auf gesicherte fossile Backup-Kapazitäten. In ihrem Konzept spielt der Bau neuer Gaskraftwerke eine zentrale Rolle.

Die Ministerin plant, zusätzliche Kraftwerkskapazitäten von mindestens 20 Gigawatt auszuschreiben, um in Zeiten von Dunkelflauten die Stromversorgung zu sichern. Anders als in früheren Konzepten soll es dabei keine verbindliche Vorschrift geben, dass die neuen Anlagen von Anfang an auf Wasserstoff umrüstbar sein müssen. Stattdessen setzt Reiche auf Technologien zur Abscheidung und Speicherung von CO₂ (CCS/CCU), um die Klimawirkung der fossilen Stromerzeugung zu mildern. Gleichzeitig kündigte sie an, die Gasspeicherumlage abzuschaffen und die Finanzierung über den Klima- und Transformationsfonds sicherzustellen.

Erneuerbare Energien sollen weniger stark gefördert werden

Parallel dazu will die Ministerin die Förderung für erneuerbare Energien deutlich zurückfahren. Geplant ist, die fixe Einspeisevergütung für neue Photovoltaikanlagen zu streichen, weil sich Solarstrom ihrer Ansicht nach „schon heute im Markt rechne“ . Kritiker warnen jedoch, das würde insbesondere private und mittelständische Betreiber treffen und den dezentralen Ausbau gefährden. Laut einer Umfrage des Bundesverbandes Solarwirtschaft (BSW) würden sich nach einer Streichung der Förderung für neue Solardächer nur noch vier von zehn Eigenheimbesitzern für eine Solarstromanlage entscheiden.

Die Kritik an Reiches Kurs ist massiv – sowohl von ExpertInnenseite, als auch aus der Opposition. Sogar der Oppositionspartner zeigt sich irritiert. So bezeichnete Claudia Kemfert, Energieökonomin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), den Neubau von Gaskraftwerken im Gespräch mit dem MDR als „unsinnig“. Geplante Anlagen könnten „kaum ausgelastet werden“. Sie warnte: „Das treibt die Strompreise, weil selten laufende Kraftwerke hohe Fixkosten verursachen.“

Widerspruch auf breiter Front

Auch aus der Opposition kommt deutlicher Widerspruch. Die energiepolitische Sprecherin der Grünen, Julia Verlinden, kritisierte in der Zeit, „unter CDU und SPD könnten Gas und die gut verdienende Fossillobby eine Renaissance erleben“. Ohne verbindlichen Wasserstoff-Umstieg sei das Projekt klimapolitisch „ein Rückschritt“, stellte sie fest.

Die SPD wiederum mahnt, Reiches Pläne müssten im Einklang mit dem Koalitionsvertrag bleiben und dürften den Ausbau der Erneuerbaren nicht schwächen. Die SPD-Umweltpolitikerin Nina Scheer wird im Stern zitiert mit den Worten, Reiche gefährde mit ihren Projekten Deutschlands Glaubwürdigkeit im Klimaschutz. Die Folge: „Damit würde Deutschland seine internationalen Zusagen in Frage stellen.“

Neue Reservekraftwerke würden Strom weiter verteuern

Ökonomisch werfen Fachleute Reiche vor, die Wirtschaftlichkeit der Vorhaben zu unterschätzen. Reservekraftwerke laufen in der Regel nur wenige Hundert Stunden pro Jahr, was hohe Fixkosten verursacht und die Strompreise steigen lässt. Zudem drohe die Abhängigkeit von fossilen Importen zu wachsen. Auch die Klimabilanz bleibt umstritten.

Denn ohne gesicherte Wasserstoff-Perspektive und ohne ausreichende Speichertechnik könnte die Bundesregierung ihre Emissionsziele gefährden. Reiche hat mehrfach angedeutet, das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 auf den Prüfstand stellen zu wollen – ein Signal, das selbst in der Koalition auf Unruhe stößt.

Katharina Reiches Nähe zur Energiewirtschaft

Zusätzliche Brisanz erhält die Debatte durch Reiches berufliche Vergangenheit. Vor ihrer Rückkehr in die Bundesregierung war sie Vorstandsvorsitzende bei Westenergie, einer E.ON-Tochter, und gilt daher vielen als Vertreterin klassischer Energiewirtschaftsinteressen. Organisationen wie LobbyControl bemängeln, dass der direkte Wechsel von der Energiewirtschaft ins Ministeramt ohne Karenzzeit problematisch sei.

Für zusätzliche Brisanz sorgen Recherchen, die nahe legen, dass einzelne Formulierungen aus Reiches Gesetzes- und Redeentwürfen auffällige Ähnlichkeiten mit Papieren eines großen Gasversorgers aufweisen, wie zum Beispiel der Tagesspiegel aufdeckte.

Zurück in die Vergangenheit, statt in die Zukunft

In der Bundesregierung wächst die Skepsis. Karsten Schneider, SPD-Umweltminister, warnte gegenüber der Welt, man dürfe „beim Ausbau der erneuerbaren Energien keine Wachstumsbremsen einbauen“. Schneider erinnerte daran, dass Deutschlands Wirtschaft auf „reichlich günstige Energie aus erneuerbaren Quellen“ angewiesen sei. Auch innerhalb von Reiches eigenem Ministerium, in dem sie nach Amtsantritt einige alteingesessene Fachleute ausgetauscht hat, sehen viele Mitarbeitende die Ausrichtung der Ministerin kritisch, wagen aber keine offene Kritik, berichtet der Spiegel in einem nicht gerade schmeichelhaften Porträt der Ministerin.

Katharina Reiche steht damit vor einem doppelten Bewährungstest: fachlich, weil ihre Gaskraftwerksstrategie die Ziele der Energiewende unterlaufen könnte; und politisch, weil ihr Kurs die ohnehin fragile Koalition unter Spannung setzt. Zwischen Versorgungssicherheit und Klimapolitik sucht sie einen neuen Weg – doch bislang scheint dieser weniger ein Kompromiss als eine Rückkehr zu (ver)alte(ten) Strukturen zu sein.

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