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KI, Tempo und die neue Innovationskultur in Heilbronn

Thomas Bornheim über Lernen, Mut, Kant – und warum KI am Ende ein Spiegel des Menschen bleibt

Donnerstag, 23. Oktober 2025
Interview von Torsten Robert

Mitte Oktober war für Heilbronn und Deutschland ein großer Tag: der erste Spatenstich für den Innovationspark Künstliche Intelligenz IPAI. Ein 30-Hektar-Campus, der zeigen soll, dass Deutschland beim Thema KI nicht nur forschen, sondern endlich auch machen kann.

Thomas Bornheim zählt zu den prägenden Köpfen der deutschen KI- und Coding-Szene. Nach mehreren Jahren im Silicon Valley – unter anderem bei Google – kam er 2020 nach Heilbronn, um die Coding School 42 mit aufzubauen. Heute leitet er Level 3, ein Software-Lab und Weiterbildungszentrum für Entwickler und KI-Talente. Mit dem KI-Salon Heilbronn hat er eine Plattform geschaffen, die Künstliche Intelligenz verständlich und erlebbar macht. Bornheim steht für einen offenen, pragmatischen Zugang zu Technologie – und für die Idee, dass KI immer dem Menschen dienen sollte.

Zuerst mal Glückwunsch – Heilbronn erlebt gerade einen echten KI-Moment. Was hat Dich persönlich angetrieben, nach vielen internationalen Stationen genau hier mitzuwirken – und was bedeutet dir dieser Ort?

Zuerst hat mich nicht Heilbronn begeistert, sondern das radikal andere Lernmodell der 42. Lernen, in dem man Probleme löst. Erfinderisch sein, Ideen erproben, Fehler besser verstehen und immer tiefer in ein Problem einsteigen, bis man es gelöst hat. So wie bei Google. Kostenfrei zugänglich für alle!

Dass die Dieter Schwarz Stiftung ein Lernmodell nach Deutschland bringt, das ich aus der Arbeitswelt des Silicon Valley kenne, fand ich sehr mutig. Diese Aufgabe, ein so agiles Lernmodell in eine kleine Großstadt im Südwesten zu bringen, die an der Schwelle zur Digitalisierung steht – das finde ich auch heute noch ziemlich cool.

Wenn du mal auf deinen Alltag schaust – wie viel Zeit verbringst du heute tatsächlich mit Künstlicher Intelligenz? Und wofür nutzt du sie konkret?

Ich habe das Glück gehabt, bei Google schon sehr früh etwas mit KI zu machen. Für mich ist es im Grunde bereits die dritte KI-Welle. Die erste habe ich 2013 erlebt, als wir ins Silicon Valley gezogen sind. Schon damals haben uns KI-Assistenten beschäftigt. 2016 kam der statistische Durchbruch mit AlphaGo – und es war klar, dass irgendwann ein Durchbruch der Sprachmodelle folgt. Wir haben den Heilbronner Bürgern die ersten KI-Modelle vor ChatGPT gezeigt – im Kulturzentrum „Maschinenfabrik“.

Auch heute beschäftige ich mich beruflich fast täglich mit KI. Ich lerne viel: Welche Erwartungen haben Unternehmen? Was kann KI und was kann sie nicht? Persönlich nutze ich ChatGPT sehr intensiv – aber eher selten für alltägliche Aufgaben. Ich nutze es vor allem für Selbstevaluierungen, zur Gestaltung unserer neuen Lernprogramme und für philosophische Erörterungen. Ich kenne niemanden, mit dem ich mich so gut über die Werke von Immanuel Kant diskutieren kann.

Mit dem IPAI-Campus entsteht hier etwas, das viele als Europas ambitionierteste KI-Plattform bezeichnen. Warum, glaubst du, kann ausgerechnet Heilbronn zu einem deutschen oder sogar europäischen KI-Zentrum werden?

Kleine Großstädte haben für Innovation oft eine wichtigere Rolle gespielt als Metropolen. Weil hier das Vertrauen und die Verbindlichkeiten höher sind. Ein Großstadtmensch kann abtauchen oder sich in einer Bubble verlieren – in einem kleineren Ort geht das nicht.

Heilbronn zeichnet ein paar Dinge aus: In der Region gibt es traditionell viel Erfindergeist und Ehrgeiz. Hier sind in den letzten Jahrzehnten Weltmarktführer entstanden. Und bei einem Großprojekt wie dem IPAI ist es die räumliche Konzentration: Kein Weg ist hier weit. Auch wenn es verblüffend klingt – hier können Dinge schneller umgesetzt werden als in Berlin.

Du hast die Coding School 42 mit aufgebaut und über viele Jahre Talente gefördert. Wie siehst du den Stand von Coding-Ausbildung und technischer Bildung in Deutschland – im Vergleich zu den USA oder Asien?

Jedes Land steht derzeit vor enormen Herausforderungen, was unsere Lernkonzepte angeht. Wir haben uns eine Welt gebaut, in der man erstmal lernt und dann arbeitet. Die Realität in den neuen Industrien ist eine andere: Hier wird beruflich gelernt.

Wer sich zu lange auf einen Titel etwas einbildet, ist raus aus dem Spiel. Universitäten können nicht allein die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufgaben stemmen, die auf uns als Wissensarbeiter – früher: Bildungsbürger – zukommen.

Ein immer wieder diskutiertes Thema: Tempo. Beim Aufbau von Rechenzentren, bei Genehmigungen, bei Infrastruktur dauert hierzulande vieles zu lange. Was müsste sich ändern, damit Deutschland bei KI-Infrastruktur wirklich mithalten kann?

Nach den jetzigen Spielregeln ist es vermessen, bei diesem Thema in der ersten Liga spielen zu wollen. Aber wollen wir dieses kaputte Spiel weiter spielen?

Mit einem unberechenbaren transatlantischen Partner lohnt es sich, die Spielregeln zu ändern – und ernsthaft in digitale Unabhängigkeit zu investieren. Wir haben hier die Chance auf eine breite Einigkeit von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, die wir für unsere Sicherheit und unseren Wohlstand nutzen sollten.

Mit dem KI-Salon Heilbronn hast du eine Plattform mitbegründet, die Menschen den Zugang zu KI erleichtern will. Wie begegnest du der Angst oder Skepsis, die viele in der Bevölkerung beim Thema KI noch spüren?

Die Angebote müssen auf der Straße gemacht werden. Der KI-Pavillon in Heilbronn war ebenfalls ein tolles Projekt, das Thema allen vorzustellen. Aber wir müssen uns auch damit abfinden, dass die Welt sich weiter dreht.

Ich habe das Glück gehabt, mit viel Ehrgeiz unterwegs zu sein – und schon als Kind viele Gelegenheiten zu haben, andere Kulturen zu entdecken und mich mit abstrakten Themen zu beschäftigen. Der Mensch ist ein neugieriges Tier.

Da ich überzeugt bin, dass uns dieses Thema alle angeht – gerade wenn es um die Gestaltung unserer Zukunft geht –, habe ich mich früh bemüht, dass auch kritische Stimmen gehört werden. Man kann von seinen Kritikern mehr lernen als von seinen Fans.

Du hast zwei Kinder. Wie erleben sie KI schon heute – in Schule, Freizeit, Social Media? Und wie, glaubst du, wird KI ihren Berufswunsch und später ihren Beruf prägen?

Meine Kinder nehmen den AI-Slop auch wahr. Aber das liebt ja keiner wirklich, oder? Ich habe viele neue Ideen in den Schulen in den USA wahrgenommen. In Deutschland scheint vieles stehen geblieben zu sein. Das ist nicht immer schlecht – aber für eine junge Generation, die sich global stärker behaupten muss als wir, sind das keine idealen Voraussetzungen.

Ich fürchte, meine Kinder kommen in eine ähnlich harte Zeit wie ich zu Beginn der 2000er. Damals war ein unbezahltes Praktikum bereits ein großer beruflicher Erfolg. Im Großen und Ganzen haben sich die Bedingungen für Arbeit verbessert. Aber – hier entschuldige ich meine amerikanisch geprägte Sichtweise – die Menschen sind dadurch nicht leistungsfähiger geworden.

Wenn du mit deiner Familie in den Urlaub fährst – fern von Terminen, Servern und Codezeilen – was bleibt dann von KI übrig? Ist sie für dich Werkzeug, Begleiter oder längst Teil deiner Denkweise geworden?

KI ist ein ständiger Begleiter. Aber ich bin von der Entwicklungsdynamik derzeit enttäuscht. Mit größeren Datenmengen werden KIs oft nicht genauer, sondern sie neigen zu größeren Abweichungen. Ich habe mein KI-Modell mit so viel Kontext gefüttert, dass es buchstäblich meinen Namen vergessen hat.

Mit mehr Abstand betrachtet: Technologie hat vorgelegt. Wir Techies müssen lernen, wie wir KIs in die Ebene der Metakognition bringen, die dem Menschen ähnelt. Ein Mensch kann sehr genau sagen, wie sicher er sich bei einer Aussage ist: „2 + 2 = 4, ich schwör.“ Für frühe KI-Modelle war „2 + 2“ eher „5“ als „Brot“.

Nun hat KI ein Mathe-Modul. Welche Module brauchen wir noch, um sie verlässlich zu machen? Und welche machen sie unzuverlässig? Nachvollziehbarkeit von KI ist eine Illusion. Unser Kopf kann nicht zweimal denselben Einfall haben – genau so funktioniert KI.

>Aber eine KI kann proaktiv melden, dass sie bald kollabiert. Wir müssen es ihr nur beibringen. Und das wird noch etwas dauern.

Und bevor wir wirklich Schluss machen – was viele gar nicht wissen: Wir beide sind ja bekennende Werder-Bremen-Fans. Also, Hand aufs Herz: Hast du schon mal KI genötigt, auszurechnen, wo Werder am Ende der Saison in der Tabelle landet?

Hier in Heilbronn erinnert mich die Stimmung an die schönste Saison, die ich mit Bremen erleben durfte. Dieses Gefühl – träumen zu dürfen, Mut zu entwickeln und am Ende gemeinsam zu gewinnen – das treibt mich tatsächlich auch in Heilbronn an.

Danke für deine Zeit, die Einblick und die Leidenschaft, mit der du dieses Thema trägst. Man spürt: Hier entsteht nicht nur ein Ort für KI, sondern eine Haltung – und die ist ziemlich menschlich.

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