Personal-Chaos bei der Bahntochter DB Cargo. Wer folgt auf die entlassene Chefin
Ist die Sanierung der DB Cargo zu sanft oder zu hart? Der Konflikt kostet Sigrid Nikutta den Job
„Wir drehen den Konzern auf links: Ich setze auf einen kompletten Neuanfang. Dafür müssen wir alles anders machen als vorher.“ So äußerte sich gerade erst die neue Chefin der Deutschen Bahn in der Bildzeitung. Starke Worte und sicher ein guter Plan, um den Konzern wieder bzw. endlich wieder auf Vordermann zu bringen. Doch kaum waren die letzten Töne der Ruckrede Pallas verklungen, gab es neue Unruhe bei der Bahn.
Im Zentrum stand Sigrid Nikutta, ihres Zeichens seit sechs Jahren Chefin der Güterverkehrsparte der Bahn, der DB Cargo AG. Nachdem die Bahngewerkschaft EVG vergangene Woche ebenfalls einen klaren Neustart gefordert hatte, soll Frau Nikutta nun entlassen werden. Mit Bernhard Osburg, ehemals Vorstandsvorsitzender bei thyssen-steel, steht, nach Informationen von Capital Beat ein Nachfolger schon in den Startlöchern. Ein Bahnsprecher beantwortete die Anfrage von Capital Beat mit dem Hinweis, dass man darauf derzeit nur antworten könne, „dass wir uns hierzu nicht äußern.“ Auch von Bernhard Osburg gibt es noch kein Statement zur Anfrage von Capital Beat.
Konflikt in der Sanierung – und eskalierte Gewerkschaftskritik
Seit Jahren steht die DB Cargo unter Nikutta unter gewaltigem Transformationsdruck. Jahr für Jahr macht die Tochtergesellschaft des Bahnkonzerns erhebliche Verluste, die bislang stets durch den Mutterkonzern ausgeglichen wurden. Das könnte ewig so weitergehen, hätte nicht die EU-Kommission diesen Zustand nicht länger toleriert. Die Auflage lautet: Der Mutterkonzern darf der Tochter nicht weiter die „Handyschulden“ begleichen. Diese soll es aus eigener Kraft schaffen, bis zum Jahr 2026 keine Verluste mehr zu machen. Anderenfalls müsse die DB Cargo zerschlagen werden.
GDL und EVG waren sich ausnahmsweise mal einig: Frau Nikutta sollte weg
Da die letzten Kennzahlen der DB Cargo keinerlei Trendwende hin zu plötzlichen Gewinnen zeigen, wenngleich die Verluste zuletzt sanken, scheint es, als funktionierten die Sanierungspläne des Managements, die so von der EU-Kommission akzeptiert worden waren, nicht. Bereits Ende September beklagte die Bahngewerkschaft GDL per Pressemeldung Werksschließungen, Personalabbau und eine angeblich fehlende langfristige Strategie und titelte „Planlos und verantwortungslos – Kurzum: Dr. Sigrid Nikutta“.
Mitte Oktober stieg auch die andere Eisenbahnergewerkschaft mit ein. Die EVG, sicher bestärkt vom angekündigten frischen Wind unter Palla, forderte per Brief an die Bahn-Führungsebene die Entlassung Frau Nikuttas. Deren Bilanz sei „verheerend“. Seit ihrem Amtsantritt habe man mehr als 3,1 Milliarden Euro Minus angehäuft. Das „Sanierungskonzept“ empfinde man in der Gewerkschaft als „kopfloses Abwickeln“. Zusammengefasst: Die Maßnahmen infolge der Sanierung mit Stellenstreichungen und Standortschließungen seien zu hart.
Kopflos aus der Krise? Die Wirtschaftspresse ist kritisch
Aber tauscht man auf hoher See mitten im schlimmsten Unwetter den Kapitän aus? Ist ein Schiff ohne Führung besser wieder auf Kurs zu bringen? Im Hinblick auf die Deadline der EU-Kommission stellt sich die Frage, ob die DB Cargo das momentan schon kaum erreichbare Ziel, bis 2026 nicht mehr defizitär zu sein, überhaupt erreichen kann, wenn jetzt noch ein neues Management übernähme. Dies kritisiert insbesondere die WirtschaftsWoche. Dort erkennt man: Ja, es gibt schwere Probleme bei der Sanierung der DB Cargo, aber müsste Nikutta jetzt ihren Posten räumen, setze man tausende Jobs aufs Spiel. Ein solches Verhalten sei verantwortungslos.
Wobei man die Gewerkschaften und deren Mitglieder schon auch verstehen kann. Den Beschäftigten kann es, zynisch gesagt, egal sein, weswegen sie ihre Arbeit verlieren: Sei es auf Grund der Sanierungspläne der DB Cargo oder sei es, aufgrund der Zerschlagung ihrer Firma. In beiden Fällen aber identifiziert man Sigrid Nikutta als Verantwortliche für das Sanierungskonzept. Schließlich führt sie die Firma seit sechs Jahren.
Das Gutachten und die neuen Erkenntnisse
Von der Deutschen Bahn selbst gibt es in Sachen DB Cargo und auch zur Entlassung Nikuttas noch kein offizielles Statement, doch neuer Sprengstoff ist ganz aktuell geliefert worden. Der Spiegel zitiert aus einem internen Gutachten der Strategieberatungsfirma Oliver Wyman, das wenig schmeichelhaft für das aktuelle Management der DB Cargo ausfällt. Das eindeutige und harte Urteil der Berater zum aktuellen Sanierungskonzept: Es ist „(auch ohne Risikoabschlag) objektiv ungeeignet, die Krisenursachen zu beseitigen und eine Wettbewerbsfähigkeit (…) herzustellen.“
Generell sehe man Chancen, DB Cargo erfolgreich zu sanieren, nur nicht so, wie aktuell durchgeführt und weiter geplant. So basierten laut Analyse der Experten viele Maßnahmen „überwiegend im Ideenstatus“ und stützten sich auf „eher optimistische Annahmen im momentanen Markt- und Wettbewerbsumfeld“. Besonders brisant das Fazit, das aktuelle Sanierungskonzept, das die EU-Kommission durchgewunken hatte, enthalte nicht „ausreichend konkrete Maßnahmen“, um Zielgrößen wie schwarze Zahlen oder Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen. Auch hier kurz zusammengefasst: Das Gutachten kritisiert, dass man zu milde und zu positiv gestimmt saniere und sieht eine härtere Sanierung als einzigen Ausweg.
Neue Führung, aber woher soll ein neues Sanierungskonzept kommen
Was den Gewerkschaften zu hart erscheint, erscheint den Wirtschaftsprüfern als zu weich. Und mitten drin steht Frau Nikutta im Kreuzfeuer beider Seiten. Beide Kritiker sind sich lediglich in einem einig: Die Sanierung laufe, doch sie laufe ins Leere. Ein unlösbarer Konflikt für die Spitze der DB Cargo. Sollte nun Bernhard Osburg, Nachfolger von Frau Nikutta werden, so stellen sich Beobachter die Frage, wie er dann in dieser Ausgangslage den Zug bei DB Cargo wieder auf die Gleise gehoben bekommen könnte. Mit welchem (neuen) Konzept wäre eine Sanierung bis zur Deadline der EU umsetzbar? Diese Fragen hat die Deutsche Bahn jetzt sehr zeitnah und unter höchstmöglichem Zeitdruck zu klären.
Foto-Copyright: Deutsche Bahn AG / Max Lautenschläger