Die Ergebnisse des Koalitionsausschusses fallen zwiespältig aus
Wie die SPD in der Sozialpolitik viele Kröten schlucken musste
Nach einer langen Nacht der Verhandlungen, am Morgen des 9. Oktober 2025, trat Bundeskanzler Friedrich Merz gemeinsam mit den Parteivorsitzenden von CSU und SPD vor die Presse. Nach mehreren internen Streitigkeiten zwischen den Koalitionspartnern, zeigte man sich mit dem Ergebnis zufrieden. Merz sprach gar davon, dass man „wahrhaft Neues“ vereinbart habe. Das war auch nötig, um Wirtschaft und Bevölkerung endlich ein Signal der Handlungsfähigkeit der Bundesregierung zu geben. Wobei deutlich wird: Auch die Ankündigungen zu Bürgergeld, Verkehr und Infrastruktur sowie Entlastungen der Industrie rufen zum Teil heftige Gegenrede hervor.

Neue Grundsicherung statt altem Bürgergeld
Im Fokus stand die Abschaffung des bisherigen Bürgergeldes. Der Begriff wird abgeschafft und durch einen anderen ersetzt. Die „Neue Grundsicherung“ sieht wesentlich härtere Sanktionen für Menschen vor, die Termine beim Jobcenter versäumen. Einmaliges Verpassen eines Termins ohne triftigen Grund führt zur Streichung von 30 % des Leistungsanspruchs. Erfolgt ein zweites unentschuldigtes Fehlen, werden erneut 30 % der Bezüge gestrichen.
Beim dritten droht ein 100-prozentiges Entfallen des Leistungsanspruchs – bleibt eine anschließende Kontaktaufnahme erfolglos, so können sogar die Mietzahlungen in einem weiteren Sanktionsschritt eingestellt werden können. Zwar betonte Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD), psychisch kranke Menschen oder gesundheitlich eingeschränkte Personen seien von den Sanktionen ausgenommen, doch bleibt die Frage, wie Personen ohne vorliegende Diagnose vom Verlust eines Leistungsbezugs geschützt werden sollen. So bemängelt die sozialpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Annika Klose, man müsse aufpassen, dass man nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen solle, “nur um die sehr kleine Zahl von Betrügern aufzudecken.“
Sind Leistungskürzungen um 100 % verfassungskonform?
Sozialverbände reagierten empört. Der Staat lasse sich “jedes Jahr Milliarden der Hochvermögenden durch die Lappen gehen, mit dem er das Loch im Haushalt ohne Probleme stopfen könnte.” Stattdessen spare man nun beim Bürgergeld, was für den Gesamthaushalt bestenfalls Kleckerbeträge ergebe, so Michaela Engelmeier, Vorstandsvorsitzende des SoVD. Frank Werneke, Vorsitzender der Gewerkschaft Verdi, kritisierte zudem die geplante Absenkung des Schonvermögens von Bürgergeld-Beziehern als unmittelbaren Eingriff in die Lebensumstände der Kernklientel der SPD.
Dies treffe, gerade angesichts der Krise der Industrie, Facharbeiter, die entlassen würden. Und die SPD stimmt sogar zu. So spricht im Tagesspiegel der Juso-Vorsitzende Philipp Türmer davon, dass die Koalition sehenden Auges auf eine Klatsche vor dem Bundesverfassungsgericht zusteuere. Zweifel in eine ähnliche Richtung äußert auch Jura-Professor Gerhard Kilz von der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen in Paderborn in der Legal Tribune Online – gerade im Hinblick auf ein Urteil aus dem Jahre 2019. Ähnlich sehen das auch einige Juristen, hatte doch das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2019 entschieden, dass der Staat ein menschenwürdiges Existenzminimum garantieren müsse. Sollten nun also Leistungen vollständig entzogen werden können, wäre dies wohl verfassungswidrig – die Chancen einer erfolgreichen Beschwerde seien gar nicht gering.
Verkehr und Infrastruktur: „Wir bauen jetzt alles, was baureif ist“
Soll im Sozialen Geld gespart werden, so will die Bundesregierung Verkehrssektor deutlich mehr ausgeben. Geplant sind zusätzliche drei Milliarden Euro für Straßen, Brücken und Bahninfrastruktur. Zusätzlich sollen Genehmigungsverfahren verkürzt und private Investoren stärker eingebunden werden. Gute Absichtserklärungen, doch die Frage bleibt offen, wie und wann entsprechende Reformen umgesetzt werden, sprich: Wann sind die Gesetze so baureif, wie die fertig geplanten Bauwerke?
Mehr Geld ist sicher sinnvoll, doch kann Geld Planungsstaus lösen? Gegen diese „verkrusteten Planungsstrukturen“, brauche es nun mehr Entscheidungsfreude, ergänzt der bayerische Ministerpräsident Markus Söder im Interview mit dem ZDF.
Industrie, Energie und Entlastung: Kritik an sozialer Schieflage
Als drittes Thema verkündeten der Bundeskanzler und die Parteivorsitzenden von SPD und CSU eine Stromsteuerreform, die vor allem Industriebetriebe entlasten soll. Da private Haushalte davon nur indirekt profitierten, könne dies die soziale Spaltung weiter verschärfen.
Auf den Punkt brachte das die DGB-Chefin Yasmin Fahimi, die in der WELT konstatierte: „Diese Regierung setzt falsche Anreize – sie entlastet die Unternehmen und vergisst die Familien.“ So blieben für Privatverbraucher die Strompreise hoch – bei zuletzt wieder ansteigender Inflation. Aus Industriekreisen kommt hingegen Lob. Dort sieht man das Maßnahmenpaket als wichtiges Signal der Planbarkeit für den Standort Deutschland.
Umfragen: Kaum Rückenwind für die Koalition
Die Koalition hoffte auf neue Zustimmung – doch die erste Civey-Umfrage für den Focus zeigt Ernüchterung: So bewerteten nur 43 Prozent der Deutschen die Ergebnisse positiv, 45 Prozent lehnen sie ab. In einem Interview warnte der Ökonom Marcel Fratzscher davor, dass die schwarz-rote Koalition scheitere, wenn sie jetzt nicht liefere. Deutlich ist, dass es der Bundesregierung gelingt, Handlungsfähigkeit zu zeigen. Doch Worte und Pläne sind zwar generell gut, erfüllen aber nicht ihren Zweck, wenn es alleine dabei bleibt.