Zivildienst für Politik uninteressant
Wehrdienst und Zivildienst müssen zusammen gedacht werden - nur denkt da gerade keiner dran
Verteidigungsminister Boris Pistorius sprach von einem vernünftigen Kompromiss, Jens Spahn salutierte, dass man nun „mehr Verbindlichkeit in der Freiwilligkeit habe“ und SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch zeigte sich „ganz sicher, dass wir das schaffen werden, auch im Rahmen der Freiwilligkeit.“ Die Einigung im Streit um den neuen Wehrdienst wird regierungsintern gefeiert. So erhalten alle Männer des Jahrgangs 2008 künftig einen Fragebogen und sollen ab dem 1. Juli 2027 verpflichtend gemustert werden; Frauen können freiwillig mitmachen.
Als Leckerli für die Personen, die sich freiwillig melden, gibt es obendrauf einen Sold von 2.600 Euro brutto und finanzielle Unterstützung, wenn beim Bund ein Führerschein gemacht wird. Das Ziel des „Wehrdienst Light“: Die Bundeswehr will Personalplanbarkeit schaffen und verteidigungsfähig sein, obwohl, so Pistorius, es keinen Grund gebe, „sich irgendwelche Sorgen zu machen“ vor einem Kriegsszenario. Der neue Wehrdienst solle nur nach Außen abschrecken. Und wenn sich zu wenige freiwillig melden, wird die Bundeswehrpflicht ausgerufen und eine Verlosung startet, bei der sich keiner über den Hauptgewinn freut.
Wer Wehrdienst sagt, muss auch Ersatzdienst sagen
Ein Jahrgang in Deutschland umfasse etwa 650.000 Menschen – gleichzeitig ist geplant, anfangs nur 20.000 Freiwillige aus der Gruppe der 2008 Geborenen zu gewinnen. Diese Zahl soll dann sukzessive bis 2031 ansteigen. Heißt im Umkehrschluss: Die Mehrheit wird nicht freiwillig dienen (müssen). Doch ist bei aller Freude darüber, dass die Koalition einen Kompromiss gefunden hat, eine Frage seltsam außen vor, denn: Wo es einen Wehrdienst gibt, da muss es auch einen Ersatzdienst geben. Doch darum will man sich dann später kümmern.
Das wirkt ein bisschen so, als ob man zur Hochsaison in den Skiurlaub fährt, Skier auf dem Dach vertaut und zuversichtlich ist, dass man vor Ort in Kitzbühel schon sicher ein Hotelzimmer für sich und die Familie findet. Cornelia Mannewitz, Bundessprecherin der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsgegnerInnen (DFG-WK) sieht diese Fokussierung auf den Wehrdienst und das Ignorieren des Zivildienstes als „ein Zeichen dafür, dass es eben doch in erster Linie um neue Soldat_innen für die Kriegsvorbereitung geht.“
Für einen potenziellen Ersatzdienst fehlt es an allem
Doch warum hat der Gesetzgeber Zivildienst und Ersatzdienst nicht gleich mitgeregelt? Formalrechtlich ist Kriegsdienstverweigerung durch Artikel 4 GG geschützt; faktisch war der Zivildienst jahrzehntelang die institutionelle Antwort. Doch heute besteht ein doppeltes Problem. Erstens fehlen die organisatorischen Grundlagen: Es gibt keine wiederaufgebaute Verwaltungsstruktur für Zuweisungen an Einsatzstellen, keine verbindlichen Kapazitätsvereinbarungen mit Wohlfahrtsverbänden und keine klaren Regeln zur Versicherung, Unterkunft und sozialen Absicherung der Ersatzleistenden.
Zudem fehlen Finanzierungsregeln: Zwar sind für Wehrdienstleistende Bezüge und Zulagen im Entwurf ablesbar, doch gibt es für Ersatzdienstleistende bislang kein gesetzliches Vergütungsmodell. Und wenn Wehrdienstleistende 2.600 Euro brutto erhalten und weitere Leistungen, müssten rein rechtlich betrachtet auch Ersatzdienstleistende gleich behandelt werden, wie in der vergangenen Woche in der Anhörung im Verteidigungsausschuss des Bundestages angemahnt wurde. Das wirft Fragen auf: Wer soll das bezahlen (Wer hat so viel Geld?). Sollen die Einsatzstellen die Aufwandsentschädigungen tragen? Zahlt Vater Staat? Und wenn er zahlt: Woher nimmt er das Geld? Zumal das Sondervermögen und andere Einnahmen schon lange verplant sind.
Ein Gesetzesentwurf, der Rechtsunsicherheit schafft
Ohne ein tragfähiges Ersatzdienstmodell stehen Gewissensverweigerer vor einer unklaren Entscheidung. Wohlfahrtsverbände warnen, kurzfristig könnten sie weder hunderttausende Ersatzleistende aufnehmen noch die Qualität ihrer Dienste sichern. Vernachlässige der Staat eine Abfederung, so bestehe die Gefahr von Prekarisierung der Ersatzleistenden, die Pflege- und Rettungsinfrastruktur werde überfordert.
Außerdem drohten massive Klagen wegen Verletzung des Verweigerungsrechts. Sollten sich zu wenige freiwillig melden, drohen zudem verfassungsrechtliche Konflikte, wenn das Notfall-Losverfahren Realität würde, ohne dass adäquate zivile Alternativen existieren.
Wider die politische Logik
Wer eine Musterungspflicht einführt, muss parallel ein belastbares, finanziertes Ersatzdienst-System aufbauen. Dazu gehören verbindliche Kapazitätsvereinbarungen mit Trägern, ein staatlich garantierter Mindestsatz für Ersatzleistende (vergleichbar zum Sold der Freiwilligen), schnelle Verwaltungswege zur Anerkennung von Gewissensgründen sowie eine klare Rechtslage vor Gericht.
Doch all dies existiert (noch) nicht und braucht, ob der Größe der Aufgabe, sicher seine Zeit zur Vorbereitung. Denn ohne all diese Maßnahmen bleibt der Kompromiss unvollständig. Dass es bei der Rückkehr zur Wehrerfassung bislang keinerlei Pläne für die soziale und rechtliche Infrastruktur eines Ersatzdienstes gibt, verwundert sehr.
Während die Bundeswehr als einzelne, große Organisation dazu schnell in der Lage sein sollte, bis zum Sommer ein System zur Musterung aufzubauen, gibt es auf der zivilen Seite abertausende möglicher Arbeitgeber, für die nun in punkto Ersatzdienst dringend die Spielregeln aufgestellt werden müssen. Kaum ist die Baustelle Wehrdienst geschlossen, muss damit bis 2027 auch das Haus Zivildienst/Ersatzdienst schlüsselfertig stehen – besser schon gestern.