Grenzwert überschritten
Wie Nitrat zur politischen Daueraufgabe wird
Nitratbelastung im Grundwasser bleibt eines der brisantesten Umweltprobleme der deutschen Agrarpolitik. Trotz jahrzehntelanger Regulierung und europäischer Richtlinien überschreitet an etwa jeder vierten Messstelle hierzulande der Nitratgehalt den kritischen Grenzwert von 50 Milligramm pro Liter. Die Folgen treffen nicht nur unser Trinkwasser, sondern führen zu politischen und gesellschaftlichen Konflikten, in denen Landwirte, Umweltverbände und Politik mit unterschiedlichen Interessen ringen.

Die Regulierung des Nitratgehalts in Gewässern ist seit Jahren ein politisches Streitthema zwischen EU, Bund und Ländern. Den verbindlichen rechtlichen Rahmen setzen dabei insbesondere drei Vorgaben der Europäischen Union: die Nitratrichtlinie von 1991, die Wasserrahmenrichtlinie von 2000 und die Trinkwasserrichtlinie. Sie verpflichten die Mitgliedstaaten, sicherzustellen, dass der Nitratgehalt im Grundwasser 50 Milligramm pro Liter nicht überschreitet.
Deutschland musste in der Vergangenheit wegen unzureichender Maßnahmen mehrfach Verfahren durch die EU-Kommission durchlaufen und wurde 2018 verklagt. Erst verschärfte Düngeverordnungen und die Einführung der sogenannten Stoffstrombilanz in 2018 – die größere landwirtschaftliche Betriebe verpflichtete, sämtliche Nährstoffströme lückenlos zu dokumentieren – führten dazu, dass das Verfahren 2023 zurückgezogen wurde.
Die aktuelle politische Situation ist jedoch in Umbruch: Im Juni 2025 schaffte das Kabinett die Stoffstrombilanz wieder ab. Landwirtschaftsminister Alois Rainer begründete dies mit dem Bürokratieabbau und der Entlastung der Betriebe – Experten und Umweltschützer kritisieren den Schritt als Rückschritt im Gewässerschutz. Besonders brisant: Die EU-Kommission verlangt weiterhin ausnahmslos detaillierte Wirksamkeitskontrollen und Monitoring, und es gilt das sogenannte Verschlechterungsverbot – das heisst, schon bei steigenden Nitratwerten an einer einzigen Messstelle müssen die Mitgliedstaaten handeln. Sollte Deutschland jetzt erneut gegen die EU-Vorgaben verstoßen, drohen finanzielle Sanktionen in Milliardenhöhe, die letztlich auch die Verbraucher treffen könnten.
Die Gefahren von Nitrat
Nitrat ist ein Salz der Salpetersäure und gelangt vor allem durch landwirtschaftliche Düngung mit Gülle und Kunstdünger in den Boden. Pflanzen brauchen zwar Stickstoff zum Wachsen, doch überschüssiges Nitrat wird aus dem Oberboden ausgewaschen, gelangt ins Sickerwasser und landet letztlich im Grundwasser. Laut Umweltbundesamt kommt fast 90 Prozent des Nitrateintrags ins Grundwasser aus der Landwirtschaft. In Deutschland wird der EU-Grenzwert an rund 25 Prozent der Grundwassermessstellen überschritten.
Gefahren durch Nitrat
Nitrat selbst ist nicht akut giftig, aber im menschlichen Körper kann es sich zu Nitrit und anschließend zu Nitrosaminen umwandeln – Stoffe, die krebserregend sind. Besonders gefährdet sind Säuglinge, für die zu hohe Nitratwerte zu lebensbedrohlichen Störungen des Sauerstofftransports führen können. Auch die Ökosysteme leiden unter hohen Nährstoffeinträgen. Trinkwasser muss aufwendig gereinigt werden, um die gesetzlichen Vorgaben einzuhalten. Das verursacht hohe Kosten für die Verbraucher.
Baden-Württembergs NABU-Chef Johannes Enssle kommentierte anlässlich der Agrarministerkonferenz im März 2025: „Die Agrarministerinnen und -minister sind aufgefordert, endlich das Recht auf sauberes Trinkwasser und den Schutz der biologischen Vielfalt in wirksame Maßnahmen umzusetzen“.
Regionale Schwerpunkte der Belastung
Die höchsten Nitratbelastungen finden sich traditionell in Regionen mit intensiver Landwirtschaft, insbesondere in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern. Umfangreiche „rote Gebiete“ wurden dort ausgewiesen, in denen verschärfte Düngeregeln gelten müssen. So lag die Belastung im Einzugsgebiet der Ems laut Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. März 2025 teils deutlich über dem Grenzwert. Die Hauptursache ist die Kombination aus Massentierhaltung und intensiver Ackernutzung.
Politische und rechtliche Dimension
Der politische Streit um die richtige Regulierung spiegelt sich sowohl in der Klagepraxis der EU-Kommission als auch in zahlreichen Urteilen der deutschen Gerichte wider. Aktuelle Urteile verpflichten Bundesländer wie Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, wirksamere Maßnahmen zum Schutz des Grundwassers zu ergreifen. Die Abschaffung der Stoffstrombilanz wird von Experten heftig kritisiert: Prof. Klaus Dittert von der Uni Göttingen warnt vor “Rückfall in die Gesetzlosigkeit” und der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft befürchtet explodierende Kosten bei der Trinkwasseraufbereitung.
Der Bauernverband sieht in der Bilanzierung ein bürokratisches Monster, während Umweltverbände und Wasserversorger eine Aufweichung der Überwachung für gefährlich halten. Die Deutsche Umwelthilfe nennt die Abschaffung ausdrücklich “rechtswidrig”. “Von der Abschaffung der Stoffstrombilanz profitiert vor allem die Massentierhaltung”, sagte DUH-Chef Sascha Müller-Kraenner.
Das Bundesverwaltungsgericht urteilte im März 2025, dass Niedersachsen und NRW ihr Maßnahmenprogramm nachbessern müssen – andernfalls drohen wieder EU-Strafen in Millionenhöhe. Deutschland steht vor der Herausforderung, Umweltschutz, Anforderungen der europäischen Richtlinien und die Bedürfnisse der Landwirtschaft miteinander zu vereinen.