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Vom Bunker-Weltmeister zur Improvisation à la MacGyver

Wie sieht es beim Thema Zivilschutz in Deutschland aus?

Mittwoch, 17. September 2025
Florian Lamp

Deutschland war im 20. Jahrhundert eine Bunker-Nation: Im Zweiten Weltkrieg entstanden Hochbunker in vielen Städten, und im Kalten Krieg baute der Staat ein Netz von Schutzräumen für Behörden und Zivilbevölkerung. Diese Anlagen sollten vor Luftangriffen und atomaren Gefahren schützen. Spätestens mit dem Ende des Warschauer Blocks wurde dieses System weitgehend aufgelöst, verkauft oder zweckentfremdet.

Die Bilanz heute ist ernüchternd: Wo es einst etwa 2.000 öffentliche Schutzräume gab, sind heute 579 übrig. Mit Platz für 480.000 Personen. Zum Vergleich: Die Schweiz verfügt über Schutzräume für 8,6 Millionen Menschen. Die deutschen Zahlen sind ausbaufähig. So überrascht es nicht, dass das Innenministerium 2023 bekannt gab, man wolle in einem ersten Schritt Platz für eine Million Menschen schaffen, vor allem, indem vorhandene Infrastruktur nutzbar gemacht werden solle. U-Bahn-Stationen, Straßentunnel und Tiefgaragen sollen ertüchtigt werden. So will das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) eine Million Schutzplätze schaffen – ergänzt durch digitale Warnsysteme und klare Verantwortlichkeiten. Doch BBK-Präsident Ralph Tiesler wusste schon 2024 im Gespräch mit der SZ: „Wir benötigen eine schnellere Lösung.“

Hinter dieser nüchternen Feststellung steckt ein milliardenschweres Vorhaben. Allein für die technische Aufrüstung von Schutzräumen, also Belüftung, Notstromaggregate, Sanitäreinrichtungen und mehr, veranschlagen Experten Milliardenbeträge. Hinzu kommen die laufenden Betriebskosten für Wartung und Personal. Laut FAZ wird es mindestens ein Jahrzehnt dauern, bis ein wirklich belastbares Netz entsteht, selbst wenn jetzt zügig begonnen werde.

Zivilschutz umfasst viel mehr als Bunker

Neben Beton geht es um Vorräte. Denn nicht nur Schutzräume selbst sind wichtig, sondern auch die logistische Versorgung in einer akuten Krise. Der Bund plant daher, neben den traditionellen Notlagern mit Getreide, Reis und Hülsenfrüchten auch Fertigkonserven einzulagern, die ohne Zubereitung verteilt werden können. Passend dazu forderte Landwirtschaftsminister Alois Rainer zuletzt bei Politico den Ausbau der Ernährungs-Notfallvorsorge um schnell verzehrfertige Dosengerichte wie Ravioli.

Fachleute verlangen mehr Sirenen, stärkere Warnketten und regelmäßige Evakuierungsübungen. Zumindest die erstgenannten Sirenen sind so weit einsatzbereit, was der Warntag am 11. September dieses Jahres gezeigt hat. In Berlin sprach Innensenatorin Iris Spranger im Abgeordnetenhaus davon, dass sie sehr froh darüber sein, dass die 220 Sirenen im Stadtgebiet hörbar waren. Auch die Warnung per Cell Broadcast und mit Hilfe anderer Apps wie Nina, verlief deutschlandweit erfolgreich.

Finnland und Polen als Vorbilder

Betrachtet man das große Ganze, schneidet Deutschland im europäischen Vergleich schwach ab: Finnland verfügt über 50.500 Schutzräume mit Platz für 4,8 Millionen Menschen, jeder Neubau, das ist gesetzlich festgeschrieben, muss einen Schutzraum vorweisen – wie es auch in der Schweiz der Fall ist.

Auch Polen hat nach der russischen Invasion in der Ukraine das Thema neu priorisiert. So beschloss die Regierung vor zwei Jahren eine systematische Überprüfung aller Schutzräume. Zusätzlich wurden seitdem Schulen, Verwaltungsgebäude und Sportstätten mit einfacheren Schutzeinrichtungen ausgerüstet. In der Hauptstadt Warschau allein gibt es über 3.600 registrierte Schutzräume. Der Großteil wurde seit 2023 nicht nur überprüft, sondern auch modernisiert. Ein weiteres Standbein des polnischen Zivilschutzes: Größere Übungen, die Anwohnerinnen und Anwohner einbeziehen.

Der Blick in die Ukraine zeigt, wie entscheidend funktionsfähige Schutzräume sind. In Kiew und anderen Städten dienten Metro-Stationen und Parkhäuser seit Beginn des Krieges als Schutzorte. Dort suchten und suchen tagtäglich Hunderttausende während russischer Angriffe Schutz.

Bleibt Deutschland nur die MacGyver-Option?

In Deutschland bleibt, ob der Größe der Aufgabe, womöglich auch nur diese Art „MacGyver-Option“: Im Fall eines Kriegsfalles müsste improvisiert werden und – wie in Kyiv – vorhandene Infrastruktur wie U-Bahnen oder Tiefgaragen kurzfristig als Bunkerersatz dienen. Doch warnen Experten, dies können nur eine Zwischenlösung sein. Denn: Ohne klare Verantwortlichkeiten drohe, dass diese Räume im Ernstfall unzugänglich oder nicht ausgestattet seien. Die SZ lässt einen ungenannten Insider aus dem BBK zu Wort kommen, der kommentiert: „Ein Schild an der Wand reicht nicht.“ Denn: „Im Notfall müssen diese Orte sofort nutzbar sein – mit funktionierender Belüftung, sanitären Anlagen und einer klaren Organisation der Zugänge.“

So ist der Weg zu einem belastbaren Zivilschutz ist kein Bunkern im Prepper-Style, einem Lebensstil, den in den USA immerhin laut dem Journalisten und Buchautoren Bradley Garrett ein Prozent der Bevölkerung pflegt, das sich auf jedwede Art von Katastrophe mit Privatbunkern, Vorräten (und Waffen) vorbereitet. Gefragt ist vielmehr eine Kombination aus pragmatischer Nutzung vorhandener Infrastruktur, gezielten Investitionen und einer Kultur der Vorsorge.

Deutschland muss dabei gleich mehrere Baustellen gleichzeitig bearbeiten: Von der Bunker-Modernisierung über einen Ausbau von U-Bahn- und Tunnelanlagen, vielleicht sogar einer Anpassung von Pflichten bei bis hin zur Stärkung von Bevorratung und Logistik und regelmäßigen Übungen inklusive aktualisierten Notfallplänen.

Ein Blick nach Finnland zeigt, dass jahrzehntelange Investitionen und konsequente gesetzliche Vorgaben eine nahezu vollständige Abdeckung der Bevölkerung ermöglichen. Auch der Nachbar Polen zeigt, was kurzfristig Reformen und Übungen ermöglichen können. Für Deutschland bleibt die zentrale Frage, ob der politische Wille ausreicht, Milliardenbeträge bereitzustellen – und ob die Bevölkerung bereit ist, Zivilschutz nicht nur als abstrakte Möglichkeit, sondern als konkrete Verantwortung zu verstehen.

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