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IK-Hauptgeschäftsführer Dr. Martin Engelmann vs. das Einwegkunststofffonds-Gesetz

"Ein Gesetz, bei dem jeder glücklich wäre, wenn es weg wäre"

Freitag, 9. Oktober 2025
Interview von Florian Lamp

Dr. Martin Engelmann ist Hauptgeschäftsführer der Industrievereinigung Kunststoffverpackungen e.V. (IK) und studierter Jurist. Aktuell wartet er gespannt auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes bzgl. einer Verfassungsbeschwerde zum ungeliebten Einwegkunststofffonds-Gesetz. Die Umsetzung dieses Gesetzes machte zuletzt Schlagzeilen, weil Christstollen zum 2go-Produkt erklärt wurden.

Könnten sie kurz erläutern, was an der Entscheidung des Bundesumweltbundesamtes zum 750-Gramm-Stollen so einzigartig ist, dass sie nun per Befehl von oben erst einmal gestoppt wurde?

Dr. Engelmann: Anders als von der EU-Richtlinie aus dem Jahr 2019 gedacht und auch anders als das in anderen Mitgliedstaaten zum Beispiel in Holland oder Österreich umgesetzt wird, entscheidet in Deutschland nicht die Wirtschaft gemeinsam mit den Kommunen darüber, was tatsächlich als ein Einwegkunststoff-Produkt gilt, das vom Gesetz betroffen ist. Hier bestimmt das Umweltbundesamt – und das löst alle möglichen Schwierigkeiten aus.

Das war für die Wirtschaft schon damals absehbar, als das Gesetz verabschiedet wurde. Im Fokus stand damals die Frage: Welche Produkte fallen denn überhaupt darunter? Welche Produkte landen tatsächlich in öffentlichen Mülleimern oder bleiben, als Littering, in Parks liegen.

Was heißt das?

Dr. Engelmann: Nach dem Gesetz prüft das Umweltbundesamt (UBA) auf Antrag eines Unternehmens, ob ein bestimmtes verpacktes Produkt in den Anwendungsbereich des Gesetzes fällt. Im Stollen-Fall ging es um die Frage: Ist eine Folien-Verpackung für einen 750 g Christstollen erfasst? Das UBA meint, dass sämtliche flexiblen Lebensmittelverpackungen erfasst sind, weil es lediglich für starre Lebensmittelbehälter in der EU-Richtlinie eine Beschränkung z.B. auf eine Einzelportionsgröße gibt.

Dabei verweist das UBA gern auf die EU-Kommissionsleitlinie, wonach sämtliche Lebensmittelverpackungen bis zu einem Füllvolumen von 3 Litern betroffen sein sollen. Das 3 Liter-Kriterium stammt aus den Beschränkungen für Getränkebehälter und gilt eigentlich gar nicht im Lebensmittelbereich. So jedenfalls rechtfertigt das UBA seine Entscheidung.

Also doch alles korrekt?

Dr. Engelmann: Nein. Denn genau hier zeigt sich eines der Hauptprobleme, die wir mit der Auslegung des Gesetzes durch das UBA haben. Das Amt urteilt, rein formaljuristisch vom Schreibtisch aus, ohne irgendwelche Rückfragen an die Praxis, z. B. bei den Kommunen. Liegen überhaupt Christstollen-Verpackungen im Park herum?

Nein, das weiß jeder. Dementsprechend hatte die Einwegkunststoff-Kommission aus Experten von Industrie, Umwelt-NGOs und Kommunenvertretern einstimmig empfohlen, Christstollenverpackungen nicht unter das Gesetz zu fassen.

Gerade gegen diese Stollen-Entscheidung gab ja große Proteste. Infolgedessen gab Umweltminister Schneider dem UBA den Auftrag, diese Entscheidung zu prüfen und vorerst zurückzuziehen. Aber es gibt noch eine weitere Besonderheit in diesem Fall, oder?

Dr. Engelmann: Genau. Das UBA hat seit Anfang 2024 33 Entscheidungen getroffen. Gegen 14 davon laufen Widerspruchsverfahren. Und auch gegen die Stollen-Einstufung sind zahlreiche Widersprüche eingelegt worden. Aber das ist gar nicht das Besondere. Das einzigartige ist, dass der Bundesumweltminister gesagt hat: Ihr dürft Eure Entscheidung nicht vollziehen. D.h.: Auf Basis dieser Entscheidung dürfen keine Abgabenbescheide erlassen werden; das UBA darf also kein Geld von betroffenen Firmen verlangen.

Das ist insofern ungewöhnlich als das Gesetz vorsieht, dass Widersprüche keine aufschiebende Wirkung haben. Normalerweise würde das UBA trotz Widerspruch Sonderabgabenbescheide verschicken und das Geld einziehen. Widerspruch hin oder her: Zahlen muss man trotzdem. Deshalb verlangen die Verbände der betroffenen Sektoren auch, dass das UBA auch bei anderen Entscheidungen, gegen die Widerspruch eingelegt wurde, auf einen Vollzug der Abgabenbescheide verzichtet.

Dass der Minister einschreitet, erscheint mir außergewöhnlich. Liegt es am Gesetz selbst? Wenn ja: Was ist der Grundfehler beim Einwegkunststofffonds-Gesetz?

Dr. Engelmann: Kurzgefasst, handelt es sich um eine schlecht gemachte Gesetzgebung. Schon die Basis, die EU-Richtlinie von 2019, war nur in großer Hektik vor der Europawahl zusammengestellt worden. Das Ganze ist ein Mix unterschiedlicher Ideen und Vorschläge– geprägt von dem Eindruck der erschreckenden Bilder von vermüllten Stränden insbesondere aus Asien, die damals sehr präsent waren. Man wollte schnell Handlungsfähigkeit zeigen. Hier ging es um Schnelligkeit vor Gründlichkeit. Die Probleme zeigen sich jetzt bei der Anwendung.

Neben denen schon in der Richtlinie vorhandenen Problemen haben wir in Deutschland das zusätzliche Problem, dass entschieden worden ist, dass die Umsetzung durch eine staatliche Behörde, nämlich das UBA erfolgen soll. Dabei sollen sich nach der EU-Vorgabe Inverkehrbringer und Kommunen zusammensetzen und auf Basis von Studien festlegen: Welche Einwegkunststoffprodukte aus der Richtlinie werden tatsächlich im öffentlichen Bereich konsumiert und landet im öffentlichen Mülleimer oder im Park? Und: Wie hoch sind die Entsorgungskosten dafür?

Und so ist es in Österreich und den Niederlanden gelaufen?

Dr. Engelmann: Ja, dann hätte man auch in Deutschland einen Mechanismus gehabt, über die Lizenzgelder an die Dualen Systeme für diese Verpackungen einen Betrag für die Kosten einzusammeln und an die Kommunen weiterzugeben. So wird das in den Niederlanden und Österreich gemacht. Völlig geräuschlos. Die Kollegen gucken uns immer an und fragen: Was für einen Quatsch macht Ihr da eigentlich in Deutschland?

Letztendlich muss man nach 21 Monaten der Umsetzung einfach sagen: Das UBA schafft es nicht. Und über den Rückstau an Entscheidungen haben wir noch gar nicht gesprochen: Außerdem liegen viele Widersprüche schon seit über einem Jahr unbeantwortet in Dessau auf dem Schreibtisch.

Der Stollen stand jetzt im Zentrum der Diskussion. Gibt es noch andere Verpackungen, bei denen es absurd anmutet, dass man sie direkt 2go verzehrt?

Dr. Engelmann: Da gibt es z.B. noch den 500-Gramm-Becher Naturjoghurt oder die 250g Salzstangen-Verpackung, die das UBA ebenfalls unter das Gesetz fassen will. Hier entfernt sich das UBA weitgehend vom Wortlaut des Gesetzes, denn erfasst sind eigentlich nur Verpackungen für Lebensmittel, die zum Sofortverzehr nach dem Kauf bestimmt sind. Das wird niemand von einem 750g-Stollen behaupten. Dahinter steht die Absicht den Anwendungsbereich möglichst weit auszuweiten.

Das UBA hatte auf der Grundlage von Abschätzungen mit ca. 55.000 Inverkehrbringern gerechnet, die sich registrieren sollten. Aktuell haben wir aber nur eine Zahl von ca. 7.000 Registrierungen. Und wenn es weniger Unternehmen gibt, die einzahlen, dann muss eben der Anwendungsbereich ausgeweitet werden. Denn irgendwie müssen aus UBA-Sicht die veranschlagten über 400 Millionen Euro hereinkommen. Denn auf der anderen Seite stehen natürlich die Kommunen und fragen: Wo bleibt unser Geld?

Welche Lösung hat das Umweltbundesamt gewählt?

Dr. Engelmann: Die Ausweitung des Anwendungsbereichs hat zur Folge, dass nach UBA-Logik sämtliche Lebensmittel im Supermarkt, die nicht noch weiterverarbeitet werden müssen, unter das Gesetz fallen und zahlungspflichtig sind. Das ist etwas ganz anderes als das, was sich der Gesetzgeber vorgestellt hatte.

Im EU-Text steht, das verpackte Lebensmittel müsse bestimmt sein zum sofortigen Verzehr. Das UBA interpretiert jetzt aber anders. Dort reicht es, wenn das Lebensmittel „geeignet“ ist. Haben Sie eine Idee, wie man beide Begriffe gleichsetzen kann?

Dr. Engelmann: Um da einen Unterschied zu erkennen, muss man kein Jurist sein: „Bestimmt“ heißt, das Produkt ist für sofortigen Verzehr nach dem Kauf gedacht bzw. konzipiert. Beispiele wären die Pommes-Schale oder der Togo-Kaffeebecher. Die Pommes aus dem Food-Truck werden vor Ort gegessen, auch der Kaffeebecher wird nicht mit nach Hause oder ins Büro genommen.

Deshalb hatte der EU-Gesetzgeber die Kommission dazu aufgefordert, Kritiken festzulegen, welche Lebensmittelverpackungen zum Littering neigen, weil sie in der Regel draußen konsumiert werden. Vor dieser – zugegeben anspruchsvollen – Aufgabe hat sich die Kommission leider gedrückt und stattdessen Leitlinien vorgelegt, die den Anwendungsbereich ebenfalls über den Wortlaut hinaus ausdehnen.

Was führt jetzt aber dazu, dass das Umweltbundesamt so argumentiert, wie es argumentiert?

Dr. Engelmann: Das UBA argumentiert, es würde ausreichen, wenn das Lebensmittel für den Sofort-Verzehr geeignet sei und verweist dabei auf entsprechende Äußerungen im Kommissionsleitfaden. Das Problem ist, dass damit sämtliche zum Sofortverzehr geeignete Lebensmittel im Supermarkt betroffen wären: Also beispielsweise auch Fleischsalat, Butter, Frischkäse etc.

Sie haben andere Länder erwähnt, die sich an den Kopf fassen. Welche Länder haben die EU-Vorgabe denn vorbildlich umgesetzt?

Dr. Engelmann: Zunächst: Viele Länder haben diese EU-Richtlinie bislang gar nicht umgesetzt, zumindest nicht vollständig. Die EU-Gesetzgebung ist hier also nicht flächendeckend umgesetzt worden. Ich finde es erstaunlich, dass es bis heute keine Übersicht gibt, die zeigt, wer was wie umgesetzt hat.

Was genau haben die Niederlande und Österreich getan oder anders gemacht?

Dr. Engelmann: Sie haben sich in der Umsetzung nahe am Text der EU-Richtlinie gehalten. Da haben sich Industrievertreter und die Kommunen zusammengesetzt und auf Basis von Studien geschaut: Welche Abfälle der in der EU-Richtlinie genannten Produkte landen tatsächlich im öffentlichen Bereich? Wie viele sind das? Und wie hoch sind die anteilig anfallenden Entsorgungskosten? Interessant ist, dass die Abgaben in Österreich pro Kopf deutlich niedriger ausgefallen als in Deutschland.

Und man kann jetzt nicht sagen, dass Österreich im Vergleich zu Deutschland verschmutzter wären. In beiden Ländern läuft das ganz geräuschlos und wäre auch hier einfach umsetzbar. Da bezahlen die Inverkehrbringer schon durch die Lizenzzahlungen an die Dualen Systeme. Man müsste nur eine zweite Rechnungszeile einfügen und könnte alles mit extrem geringen Verwaltungsaufwand erledigen.

Kommen wir zur Verfassungsbeschwerde gegen das Einwegkunststofffonds-Gesetz. Wogegen richtet sich diese Beschwerde und wie schätzen Sie die Erfolgsaussichten ein?

Dr. Engelmann: Da geht es um die Frage: Darf der Staat solch eine Sonderabgabe einführen oder müsste es nicht eigentlich eine Steuer sein. Jeder Staat will Einnahmen generieren, scheut sich aber in der Regel davor, diese „Steuern“ zu nennen. So waren Regierungen schon immer sehr kreativ, neue Einnahmequellen unter Bezeichnungen wie „Sonderabgabe“ zu erfinden.

Doch hat dem das Bundesverfassungsgericht schon vor Jahrzehnten einen Riegel vorgeschoben und genaue Kriterien dafür aufgestellt, wann Sonderabgaben berechtigt sind und wann nicht. Dass diese Kriterien beim Einwegkuntsstofffonds-Gesetz nicht greifen, darauf hatten wir schon im Gesetzgebungsprozess hingewiesen. Insofern ist es nur konsequent, dass Karlsruhe sich jetzt mit dieser Verfassungsbeschwerde befasst.

Bis Ende des Jahres will man dort eine Entscheidung verkünden. Wir sind zuversichtlich, was die Entscheidung angeht. Ein Scheitern des Gesetzes vor dem Verfassungsgericht würde helfen, den ganzen Prozess neu zu starten und eine privatrechtliche Umsetzung ermöglichen.

Wie sehen das die anderen Beteiligten?

Dr. Engelmann: Mal angenommen, das UBA würde sich ins Jahr 2022 zurückversetzen können, so bin ich sicher, dass die handelnden Personen dort sich nicht noch einmal um die Umsetzung bemühen würden und uns sagen würden: Liebe Wirtschaft, liebe Kommunen, übernehmt Ihr das lieber mal selbst. Denn auch dort hat man bemerkt, wie hoch der Aufwand ist und welche großen Probleme es gibt.

Was sind denn die konkreten Probleme des UBAs bei der Umsetzung?

Dr. Engelmann: Die Vielfalt der Warenwelt und die Unbestimmtheit der Vorschriften überfordert das Amt. Genau deshalb sah die Richtlinie ja vor, dass sich Inverkehrbringer mit den Kommunen zusammensetzen und für eine Umsetzung sorgen sollen.

Wir diskutieren da heute über Einzelfälle wie Christstollen, Salzstangen und Co., aber es liegen keine allgemeinen Kriterien vor, welche Verpackungen z.B. erfasst sind und welche nicht. Und genau das ist das Problem. Denn, sollte der 750-g-Stollen jetzt doch von einer Abgabepflicht befreit werden: Wie sieht es denn beim 1-kg-Stollen oder dem 500-g-Stollen aus?

Die Stollen der Stollenbäcker müssten einfach 3.001 g wiegen … dann fielen sie nicht mehr unter das Gesetz …

Dr. Engelmann: Im Ernst: Mit diesem Klein-klein kommen wir nicht weiter! Wir brauchen Rechts- und Planungssicherheit. Das ist auch ein schönes Beispiel für den geplanten Bürokratie-Rückbau, wie er in der Koalitionsvereinbarung steht. Hier haben wir ein Gesetz, das wirklich weg kann. Und es wird sich niemand, wirklich niemand, darüber aufregen. Im Gegenteil: Alle würden erleichtert aufatmen, selbst die Kommunen würden dann verlässlich an das Geld kommen.

Angenommen, Ihre Verfassungsbeschwerde ist erfolgreich und es braucht ein neues Gesetz. Wie schnell könnte eine privatwirtschaftliche Lösung auf die Beine gestellt werden?

Dr. Engelmann: Ich glaube, es ist relativ schnell umsetzbar. Die Daten liegen alle vor, man könnte jetzt noch ein paar Updates der Studien beauftragen, müsste sich über die Kriterien noch mal austauschen, in die Nachbarländer schauen, was dort gut funktioniert und was nicht ganz so gut. Nähme man nur das Gewicht als Grundlage ginge das sehr flott.

Heißt: Das wäre alles unbürokratisch schnell erledigt? Und gleichzeitig könnte man eine Musterlösung für die versprochene Entbürokratisierung schaffen.

Dr. Engelmann: Nennen wir es besser einen Prüfstein für den Willen der Politik, bei diesem Thema den Worten auch Taten folgen zu lassen.

Hören sie da Stimmen aus den Koalitionsparteien, die sie positiv stimmen?

Dr. Engelmann: Auf politischer Ebene gibt es viel Zustimmung in der Sache. Wenn es konkret wird, guckt man dann dort aber schon zuerst nach Karlsruhe, denn man denkt sich: Wir warten erst mal ab, was dort geurteilt wird.

Foto von Dr. Martin Engelmann: Industrievereinigung Kunststoffverpackungen e. V. (IK)

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