Die neue Bahnchefin Evelyn Palla steht vor gewaltigen Aufgaben
"Wir nehmen heute den Taktstock für eine neue Ära in die Hand"
Am 23. September 2025 wurde offiziell verkündet, dass Evelyn Palla neue Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn wird und das Amt ab 1. Oktober übernimmt. Damit wird sie die erste Frau an der Spitze des Staatskonzerns. Der Aufsichtsrat begründete die Berufung mit ihrer ausgewiesenen operativen und strategischen Kompetenz sowie ihrer Erfahrung beim Umbau von DB Regio.

Lutz’ Erbe: Versprechen, die nicht hielten
Vorgänger Richard Lutz hatte die Bahn über acht Jahre hinweg geleitet. Der allgemeine Tenor dazu: Hohe Ambitionen bei niedrigem Output, vor allem bezüglich der dringend notwendigen Sanierung. Das zeigte sich u. a. bei einer dauerhaft niedrigen Pünktlichkeit und weiter heftigen Problemen bei der Sanierung der gesamten Infrastruktur. So erreichten im Juli 2025 laut Focus nur 56,1 % der Fernzüge ihr Ziel pünktlich. Kein Wunder, dass die Bahngewerkschaft GDL nach Bekanntwerden der Personalie Evelyn Palla “als Chance für einen echten Aufbruch bei der Deutschen Bahn” lobte.
Kritiker bemängelten an der alten Bahnspitze auch, dass viele Investitionen nur unkoordiniert kanalisiert wurden, der Mangel an Personal immer virulenter wurde und Defizite nicht ausreichend adressiert wurden. Infolgedessen erlitt die Bahn weitere Verluste und geriet in einen Teufelskreis aus Verspätungen und verschlechtertem Image.
Die Kirsche auf dem Kuchen: Der Spiegel deckte in einem Bericht auf, dass absichtlich Züge ausfielen, um die Pünktlichkeitsstatistik zu verbessern und legte dazu sogar Nachrichten aus einem internen System-Chat der Deutschen Bahn vor. Weitere Kritik kommt von Mittel- und Großstädten, die in den letzten Jahren Anschluss an den Fernverkehr in Folge von Einsparungen verloren haben. Die Aufgabenliste von Evelyn Palla sollte man sich eher wie ein Regal, gefüllt mit mehreren Ordnern, vorstellen.
Auf der Schiene zum Erfolg: Evelyn Pallas Biografie
Was spricht dafür, dass die neue Chefin den Zug wieder ins Gleis wuchten kann? Geboren in Bozen, Südtirol, war Evelyn Palla, bereits seit 2011 beruflich mit der Bahn beschäftigt. Zunächst in Österreich, bei den Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB). Nach Stationen als Vorstandsmitglied für Regionalverkehr und Aufsichtsratschefin bei ÖBB Postbus, wechselte sie 2019 zur Deutschen Bahn als Finanzvorständin des DB Fernverkehr. Drei Jahre später stieg sie auf in den Vorstand und wurde Leiterin der DB-Sparte Regio. Gerade in der zuletzt ausgeübten Position zeigte sich, dass sie erfolgreich führen kann, denn es gelang ihr, die DB Regio zurück in die Gewinnzone zu führen.
Auch die Betriebsergebnisse wurden von innen und außen als solide angesehen, gerade in einem betriebswirtschaftlich schwierigen Umfeld. Jetzt möchte sie beim Mutterkonzern genauso weiter machen und kündigte bei Ihrer Vorstellung an, sie wolle „den Taktstock für eine neue Ära“ übernehmen und dafür sorgen, dass man sich bei der Bahn wieder auf den Kern, also, das Eisenbahngeschäft, konzentriere. Und von Eisenbahnen versteht Evelyn Palla etwas, erwarb sie doch 2024 einen Triebfahrzeugführerschein. Ein deutliches Zeichen dafür, dass sie den Betrieb nicht nur von oben versteht, sondern auch in der täglichen Praxis seiner MitarbeiterInnen.
Große Erwartungen von Politik, Branchen und Wirtschaft
Diese Kenntnisse ist sie nun gefordert, auch einzusetzen, denn die Erwartungen von allen Seiten sind hoch. So muss sie zeigen, dass sie Sanierungsprojekte koordinieren, Prioritäten setzen und Gelder zielgerichtet einsetzen kann, wie Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (SPD) fordert. Auch Baden-Württembergs grüner Verkehrsminister Winfried Hermann formulierte in der WELT seinen Wunschzettel: mehr Personal und Mittel für Zuverlässigkeit, stärker Fokus auf die Kunden, eine spürbare Verbesserung des Gesamtsystems.
Auch die Wirtschaft, insbesondere im Logistik- und Energiebereich, erwartet, dass Palla die Bahn als verlässlichen Partner wieder stärkt. Was die Persönlichkeit Frau Pallas angeht, blicken viele Branchenvertreter positiv in die Zukunft der Bahn. Übertrage sie ihre Erfolge bei DB Regio auf das gesamte Unternehmen, sei viel möglich. Doch ohne klare Reform des Geschäftsmodells und eine strikte Konzentration auf marode Kernstrecken blieben die avisierten Ziele möglicherweise illusorisch, warnen Kritiker wie Arno Luik.
Ein Berg von Problemen
Die Probleme, denen sie sich stellt, sind gewaltig. Der operative Verlust drückt auf Handlungsspielräume. Das Netzwerk ist vielerorts veraltet: Brücken, Weichen, Signaltechnik und Bahnhöfe gehören vielfach zu den ältesten Deutschlands. So ist etwa jede vierte Brücke der Bahn in gravierendem Zustand – von rund 25.000 Bauwerken, von denen viele bereits jenseits ihres Lebenszyklus sind.
In der Hauptstadt Berlin häufen sich Ausfälle wegen kurzfristig angesetzter Baustellen: So fielen Fernzugverbindungen zwischen Berlin und Frankfurt oder Aachen komplett aus.
Ein nüchtern, sachlich-klarer Auftakt
Bei ihrer Vorstellung trat Evelyn Palla ruhig, aber mit ambitioniertem Ton auf: Unter ihr werde man sich dem Eisenbahngeschäft als Kern wieder mehr widmen. Dabei stünden die Ergebnisse im Vordergrund, wofür Sie klare Prioritäten setzen wolle. Gleichzeitig weiß sie aber auch um die Größe ihrer neuen Aufgabe, wenn sie offen betont: „Nichts wird schnell gehen. Das ist kein Sprint. Die Sanierung der Eisenbahn-Infrastruktur ist ein Marathon.“ Da hilft es sicherlich, dass das Infrastrukturpaket der Bundesregierung ihr zur Umsetzung 150 Milliarden Euro zur Verfügung stellt.
Mit den Milliardeninvestitionen, die in den kommenden Jahren fließen sollen, muss sie vor allem Streckenmodernisierung, Signaltechnik, Personalstärkung und digitale Steuerungssysteme in den Mittelpunkt setzen. Das Geld muss zielgerichtet in die Strecken und Betriebe fließen, die am stärksten unter Druck stehen. Ihre größte Herausforderung dabei ist sicher, einen Spagat zwischen Bundesprogramm, politischem Druck und operativer Realität zu meistern. Aber schon konkret messbare Optimierungen in Sachen Pünktlichkeit, Verlässlichkeit und Transparenz könnten eine Wende einleiten.
Allen Bahnfahrerinnen und Bahnfahrern wäre so wesentlich besser geholfen als mit einer Kampagne, in der die Schauspielerin Anke Engelke ironisch die bekannten Bahnmängel durch den Fleischwolf dreht. Für die erwünschte Wende jedenfalls wünscht man Evelyn Palla eine gute Reise.
Bildquelle: © Deutsche Bahn AG / Volker Emersleben