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EU-Klimapolitik trifft Standortrealität

Was Europas Klimazoll über die neue Industriepolitik verrät

Freitag, 14. November 2025
Torsten Robert

Der EU-Mechanismus zum CO₂-Grenzausgleich soll verhindern, dass klimaschädliche Produktion ins Ausland abwandert – und Europas Industrie zugleich wettbewerbsfähig halten. Doch das politische Prestigeprojekt spaltet die Wirtschaft. Während Brüssel von einem Meilenstein für den Klimaschutz spricht, warnen deutsche Unternehmen vor Bürokratie, Kosten und geopolitischen Risiken.

Ein Instrument mit Sprengkraft
Der Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) ist das Herzstück der europäischen Klimastrategie – ein Instrument, das Handel, Industrie und Politik gleichermaßen herausfordert. Ab 2026 sollen Importe von Stahl, Zement, Düngemitteln, Aluminium und Strom mit CO₂-Kosten belegt werden, um faire Wettbewerbsbedingungen zu schaffen. Doch das politische Prestigeprojekt stößt auf Widerstände. Ausgerechnet jene Branchen, die Europa klimaneutral machen sollen, fühlen sich von Brüssel ausgebremst.

Deutschlands industrielle Basis unter Druck
In keinem anderen EU-Land ist der Umbau zur klimafreundlichen Industrie so zentral wie in Deutschland. Stahl, Chemie, Maschinenbau und Zement bilden das Rückgrat des Standorts – und sind zugleich die größten Emittenten. Unternehmen wie ThyssenKrupp oder Salzgitter investieren Milliarden in neue Verfahren. Die Chemiebranche warnt vor unkalkulierbaren Folgekosten. Der Maschinenbau spürt steigende Preise für Vorprodukte. Viele Betriebe sehen im CBAM zwar einen Schutz gegen Billigimporte, fürchten aber den bürokratischen Aufwand und die Unsicherheit bei der Umsetzung.

Schlüsseltechnologien made in Germany
Der Erfolg des CBAM hängt eng mit Deutschlands technologischen Stärken zusammen – vor allem mit grünem Wasserstoff, Batterietechnologien und Halbleitern. Sie entscheiden darüber, ob das Land Klimaziele und Wettbewerbsfähigkeit in Einklang bringt. Beim Wasserstoff-Hochlauf setzt die Bundesregierung auf Projekte wie H2Global oder das Hydrogen Core Network. In der Batteriefertigung entsteht entlang der Achse Salzgitter–Kaiserslautern eine europäische Wertschöpfungskette, die den Importdruck aus Asien mindern soll. Und in der Halbleiterproduktion fördert Berlin Milliardeninvestitionen von Intel in Magdeburg und TSMC in Dresden – als Basis für Elektromobilität und vernetzte Industrie. Je schneller diese Technologien marktreif werden, desto geringer wird der Anpassungsdruck durch CO₂-Kosten an den Grenzen.

Technologische Zeitenwende
Der CBAM kann nur wirken, wenn Industrie und Politik Tempo machen. Europa hat ambitionierte Pläne, doch die Konkurrenz ist weiter. Die USA investieren mit dem Inflation Reduction Act massiv in grüne Technologien, China steuert gezielt über staatliche Programme. Europa dagegen reguliert viel, investiert aber zu wenig.

Politischer Rahmen und Zielsetzung des BMWK
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz sieht im CBAM ein Kernelement seiner Doppelstrategie: Klimaschutz durch marktwirtschaftliche Mechanismen und Stärkung der industriellen Basis durch gezielte Förderung. Programme wie die Klimaschutzverträge und die Industriestrategie 2030 sollen Unternehmen beim Umbau unterstützen, ohne ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit zu gefährden. Doch das Spannungsfeld bleibt: ehrgeizige Klimaziele auf der einen, hohe Energiepreise und lange Genehmigungszeiten auf der anderen Seite. Der CBAM wird so zum Prüfstein deutscher Industriepolitik.

Globale Konfliktlinien
Wirtschaftlich ist der CBAM Schutzschild und Risiko zugleich. Handelspartner wie Indien, Brasilien oder China kritisieren ihn als grünen Protektionismus. Entwicklungsländer fürchten Nachteile, weil sie kaum Ressourcen haben, ihre Industrie kurzfristig klimafreundlich umzubauen. Damit wird der Mechanismus zum außenpolitischen Test: Kann Europa Klimapolitik global vorantreiben, ohne Handelskonflikte zu provozieren? Oder wird der CBAM zur nächsten Bruchlinie zwischen Nord und Süd?

Deutschland im Spannungsfeld
Für Deutschland bleibt der CBAM ein Balanceakt zwischen Anspruch und Realität. Die Bundesregierung betont, Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit ließen sich verbinden. Doch steigende Energiepreise, komplexe Förderbedingungen und unsichere Planungsgrundlagen zeigen, wie eng der Spielraum geworden ist. Ohne eine abgestimmte europäische Industrie- und Investitionsstrategie droht der Mechanismus, das Klima zu schützen – aber industrielle Substanz zu gefährden.

Was jetzt zählt
Der Carbon Border Adjustment Mechanism ist mehr als ein Klimazoll. Er steht für Europas Versuch, Klimapolitik, Technologie und Industrie zusammenzuführen. Deutschland spielt dabei eine Schlüsselrolle. Gelingt die Transformation, könnte Europa zeigen, dass Wohlstand und Klimaschutz kein Widerspruch sind. Scheitert sie, droht eine Deindustrialisierung, die weder dem Standort noch dem Klima hilft.

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