Die Abgaben für Einwegkunststoffverpackungen werden von Industrieseite stark kritisiert
Heftiger Streit zwischen Industrie und Umweltbundesamt
Bestimmte Lebenssituationen erfordern bestimmte Lebensmittel. In romantischen Komödien sieht man oft eine enttäuschte Frau, die traurig Vanilleeis aus einer riesigen Packung löffelt. Zum Fußballabend vor dem Fernseher gehört für viele eine Familienpackung Salzstangen. Und in der Weihnachtszeit, da lassen sich Viele einen Original Dresdner Christstollen schmecken. Was das mit dem Einwegkunststoff-Fonds-Gesetz (EWKFondsG) zu tun hat? Alle drei Lebensmittel stehen im Zentrum einer Debatte, wie es sie so gefühlt wohl nur in Deutschland geben kann. Aber was genau ist passiert?

Die EU hat 2019 die Einwegkunststoff-Verordnung verabschiedet, deren Ziel es ist, dass die Mitgliedsstaaten die Umweltbelastung durch Einwegkunststoffprodukte verringern. Infolgedessen wurden u.a. Plastikbesteck und Strohhalme aus Kunststoff verboten. Auch die neuen festen Verschlüsse an Einweg-Plastikflaschen sind auf Basis dieser Verordnung eingeführt worden. Für Eis, Salzletten und Christstollen aber ist die sogenannte „Erweiterte Herstellerverantwortung“ zuständig. Diese besagt, dass sich Unternehmen an den Kosten der Abfallentsorgung beteiligen müssen (was sie in Deutschland schon über ein System der Lizensierung bei Dualen Systemen wie dem Grünen Punkt tun).
Der Fonds soll Geld im Kampf um Straßenabfall bringen
Für jede in den Verkehr gebrachte Verpackung sollen die Hersteller einen bestimmten, im deutschen Gesetz festgelegten Abgabesatz zahlen. Diese Einnahmen werden vom Umweltbundesamt (UBA)als Fondsverwalter eingesammelt, das hierfür etwas mehr als 30 Planstellen einrichten wollte (von denen bislang gerüchtehalber nur ein Bruchteil besetzt sein soll). Im Anschluss erhalten Kommunen und kommunale Entsorger das Geld, um damit Maßnahmen gegen achtlos weggeworfenen Abfall (neudeutsch: „gelitterten Abfall“) umzusetzen. Bei der Einschätzung der eingereichten Anträge unterstützt ein Expertenrat, aus Verbandsvertretern der betroffenen Verpackungshersteller und NGOs wie die Deutsche Umwelthilfe das UBA.
Was nach einem guten Plan klingt, um sauberere Parks und Straßen zu bekommen, hat aber gleich mehrere Haken. So verlangte das UBA von möglicherweise betroffenen Unternehmen zum einen eine Registrierung im eigens entwickelten System DIVID und forderte ebenfalls dazu auf, dass Einordnungen zu jeder Verpackung eingereicht wurden. Beides, versprach das Amt, werde vom UBA überprüft und final bewertet mittels einer Allgemeinverfügung.
Der Streit um die Definition: Ist „geeignet“ gleich „bestimmt“
Seit Anfang 2025 sind die ersten Bewertungen des UBA nun online aufzufinden und haben zu Aufregung in der Verpackungswirtschaft geführt. Gegen die meisten der vom UBA veröffentlichten Entscheidungen laufen mittlerweile Widersprüche. Vom UBA gab es bislang immer wieder Videokonferenzen, auf denen die VertreterInnen der Unternehmen ihre Wut auf die Mängel der Prüfung und des Gesetzes zum Ausdruck brachten und die Vertreter des UBA sich aus rechtlichen Gründen nicht zu Einzelfällen äußern wollten. Größter Streitpunkt ist hierbei die Definition davon, welche Einwegkunststoffprodukte bzw. -Verpackungen denn nun littering-affin seien und welche nicht.
Schreibt die Europäische Gesetzesvorlage explizit, dass die entsprechenden Produkte dazu „BESTIMMT“ sein müssen, achtlos in die Landschaft geschmissen zu werden, so interpretiert das Umweltbundesamt diesen Passus ganz anders. Es scheint, was die Bewertungen des UBA angeht, vielmehr danach zu entscheiden, was denn „GEEIGNET“ ist, achtlos gelittert zu werden. Ist man also körperlich und/oder geistig in der Lage eine mit bis zu 3 Litern befüllte Packung Eis als 2go-Produkt anzusehen und dementsprechend zu konsumieren, ist diese Verpackung vom Einwegkunststofffonds als litteringaffin zu betrachten und ihr Hersteller muss eine Abgabe zahlen. Dasselbe gilt für Salzstangen und, ein End-Sommerloch-Thema: auch für Christstollen.
Der Stollenkrieg: Kommt ein Mann vom Bäcker … und beißt in seinen Christstollen
Diesen, in der 750-Gramm-Packung aus Kunststoff schätzte das Umweltbundesamt im August 2025 als klassisches Einweg-Lebensmittel ein, für das entsprechend Abgaben gezahlt werden müssen – obwohl das begleitende Gremium aus Wirtschaft und Umwelt-NGOs vorab empfohlen hatte, den Stollen als nicht betroffen vom EWKFondsGesetz einzustufen, da er „zu groß für den unmittelbaren Verzehr“ sei.
Wahrscheinlich haben die wenigsten Menschen auf dieser Welt bislang persönlich miterlebt, wie ein Mann (entschuldigen Sie bitte, aber ein solches Verhalten würde der Autor dieser Zeilen nur einem Mann zutrauen) aus einer Bäckerei rauskommt, einen Christstollen auspackt und herzhaft zubeißt – und die Plastikverpackung achtlos vom weihnachtlichen Winterwind davontragen lässt. Doch nur die Tatsache, dass bislang niemand Zeuge des oben beschriebenen Verhaltens geworden ist, heißt ja nicht, dass eine solche Szene generell unmöglich ist. Frei nach Joachim Ringelnatz: Weil sein kann, was nicht sein soll.
Ein Weihnachtsgebäck im Sommerloch
Der Aufschrei war riesig. Die Bildzeitung titelte mal nicht zum Ukraine-, sondern zum Stollenkrieg. Der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH), Jörg Dittrich, erregte sich laut, weil das UBA die Einschätzung der Expertenkommission ignorierte. Der Landesinnungsverband Saxonia des Bäckerhandwerks, unterstützt durch andere Landesverbände, protestierte lautstark beim sächsischen Wirtschaftsminister Dirk Pantel (SPD). Gegen den Entscheid des Umweltbundesamtes wurde – wahrscheinlich von den o.g. Organisationen – Widerspruch eingelegt.
Der Minister versprach über die Medien, mal mit dem Bundesumweltminister zu sprechen und alles zu regeln. Und der Zentralverband übergab daraufhin Minister Carsten Schneider (SPD) einen Stollen. Und was für viele Unternehmen und Verbände, die bislang recht fassungslos Widerspruch gegen UBA-Einstufungen eingelegt hatten, am meisten erstaunt: Dann ging alles ganz schnell, denn der Bundesumweltminister Carsten Schneider beorderte, das UBA solle die Einstufung des Christstollens in der 750-g-Packung als betroffen vom Einwegkunststofffondsgesetz vorerst zurückzuziehen und erneut prüfen.
Industrie mahnt Gleichheit vor dem Gesetz an
Die Stollenbäcker freuen sich über ihre gelungene Lobby-Initiative. Aber was ist mit den Salzstangen-Verpackungsvertretern? Was mit den Joghurt-Interessenvertretern, deren 500-Gramm-Becher als 2go-Produkt eingeschätzt wurde? Was mit den 500 Gramm Nüssen in der Kunststoffverpackung? Und ist die Familienpackung mit Vanilleeis, weil sie theoretisch gleich nach dem Einkauf aus der Verpackung geleckt werden könnte, geeignet, gelittert zu werden und müsste somit hierfür eine Abgabe des Verpackungsherstellers in den Einwegkunststofffonds erfolgen? Und ja: Das Eis müsste geleckt werden, da diese größeren Eisverpackungen ohne Löffel verkauft werden.
Thorsten Plutta, Managing Director von PRO-S-PACK Arbeitsgemeinschaft für Serviceverpackungen, hat da so einen Verdacht: Waren die Bäcker so erfolgreich, „… Weil es der Christstollen in die BILD-Zeitung geschafft hat und die anderen Produkte nicht?“ Schließlich gelte prinzipiell doch der Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz – zudem warteten andere Unternehmen bereits seit „mehr als einem Jahr unbeantwortet“ beim UBA lägen.
Auch Dr. Martin Engelmann (IK) fordert via Linkedin: „Es ist höchste Zeit, dass die Bundesregierung einschreitet.“ Und es scheint sich etwas zu bewegen. So berichtet die Lebensmittel Zeitung, man habe auf Anfrage beim Bundesumweltministerium die Antwort erhalten, man werde jetzt die Gleichbehandlung und bei sämtlichen strittigen Entscheidungen prüfen, „wie die künftige Anwendung der Regeln [des EWKFondsG] praxistauglich angepasst werden“ könnten. Zudem orientiere man sich dabei dann „auch an guten Beispielen aus anderen Mitgliedstaaten“, so das Ministerium. Hier werden u.a. die Niederlande sowie Österreich meist positiv erwähnt (… bei denen weder Leerdammer-Laibe noch ganze Apfelstrudelbleche als geeignet zum 2go-Verkehr eingeschätzt wurden).